Geheimsache Labskaus
fließen doch höchstens die Kindertränen raus, die dort vor Heimweh vergossen werden.“
„Ich glaube, irgendwas stimmt da nicht“, versuchte es Oskar noch einmal, „sonst säße Zack doch nicht in Einzelhaft!“
„Wer ist Zack?“
„Zack ist mein Freund. Er sitzt oben im Heim.“
„Wegen dem Abwasserrohr?“
„Nein, wegen dem Pudel von Frau Hansen. Der ist beim Ausführen verschwunden, und Harro Ungern behauptet, Zack und ich hätten ihn an Hundefänger verkauft.“
Kurz hob eine Augenbraue. „Wegen eines Hundes sitzt dein Freund in Einzelhaft?“
„Nee, Einzelhaft gab es erst, weil er in das Büro der Heimleiterin eingebrochen ist. Und ich glaube, er hat einen Hinweis darauf gefunden, dass irgendwas mit dem Abwasser nicht stimmt. Das stand nämlich …“ in einem Erpresserbrief, hätte Oskar fast gesagt. Aber das wollte er doch besser für sich behalten. „… in einem Rezeptbuch“, sagte er stattdessen. Schließlich hatte Zack den Brief in einem Buch gefunden.
„In einem Rezeptbuch, sagst du?“
„Ja, genau!“
„Mit Labskaus-Rezepten?“
Was war das denn für eine blöde Frage! Woher sollte er das wissen? Elektras Bericht war ziemlich hektisch gewesen. „Zack hat alles kopiert, was wichtig war.“
Kurz nickte. „Da sitzt dein Freund ja ziemlich in der Klemme, was?“ Er schien einen Moment zu überlegen, dann sagte er: „Vielleicht hast du recht, und irgendwas ist tatsächlich faul mit dem Rohr. Ich glaube, wir sollten uns mal mit deinem Freund unterhalten.“
„Aber Zack sitzt doch in Einzelhaft.“
Kurz lächelte knapp: „Noch! Vielleicht gibt es einen Weg, wie wir deinem Freund helfen können.“
„Echt wahr? Das wäre toll …“
Weiter kam Oskar nicht, da piepte es. Sein Handy? Nein! Das Geräusch kam von Doses Handgelenk, genauer gesagt von einer ziemlich unförmigen Digitaluhr.
„Was zum Teufel …“ Dose starrte abwechselnd auf das Gerät und dann wieder auf den Steg. Dort hatte einer der Kanister heftig zu vibrieren begonnen. „Das, das klingelt ja zu spät!“, rief Dose empört. Oskar wusste nicht, was der zitternde Kanister zu bedeuten hatte, offenbar verärgerte sein Anblick Kurz ganz erheblich.
„Bravo!“, schnauzte der. „Hat Doktor Olaf Dose mal wieder Probleme beim Wecker-Stellen gehabt? Oder die Schlummer-Taste gedrückt?“
„Ich verstehe das nicht, Florian, der Alarm hätte eigentlich –“ Fump! Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Kanister um. Er vibrierte jetzt noch heftiger.
„In Deckung!“, rief Dose und warf sich mit einem Bauchklatscher, der jedem Walross zur Ehre gereicht hätte, auf den Steg. Noch bevor Oskar und Kurz sich vom Fleck rühren konnten, zerfetzte eine heftige Explosion den Kanister, Tausende Plastiksplitter flogen durch die Luft.
Vor Schreck sog Oskar heftig die Luft ein. Das hätte er besser nicht getan. Im ersten Anflug roch es bloß süßlich-faulig wie ein Komposthaufen an einem schwülen Sommertag, dann kam eine Dunstwolke, die Oskar an die selbstgemachte Blutwurst seiner Großmutter erinnerte, und zuletzt legte sich der atembetäubende Gestank von verfaultem Fisch wie eine klebrige Schicht über die Innenwände seiner Nase. Ihm wurde speiübel. Schwach ächzte er: „Was war denn das?“
„Überdruck, verursacht durch beschleunigte Gärung unserer Nährlösung“, hustete Dose hinter seinem Stofftaschentuch hervor und blickte mit tränenden Augen zu seinem Kollegen. Der seufzte bloß entnervt. „Komm, Olaf. Wir sammeln unser Zeug ein.“ Er wandte sich Oskar zu: „Und dann holen wir deinen Freund.“
Oskar nickte halbherzig. „Was soll’s“, dachte er. Klar, dieser Olaf Dose hatte echt was an der Marmel. Aber wenn die beiden etwas für Zack tun konnten …
Freitag, 24. Juli, 14.39 Uhr
Anderling liebte Freitagnachmittage wie diesen: Paloma Hansen war mit einem schlimmen Migräne-Anfall nach Hause gefahren. Bevor sie matt in ihr Auto gestiegen war, hatte sie Anderling das Kommando übertragen. Jetzt war er der Boss! Seine erste Tat war gewesen, die Video-Überwachungsanlage des Hauses von „Pause“ auf „Aufnahme“ umzustellen. Eigentlich sollten die Kameras rund um die Uhr laufen. Doch unmittelbar nach Hansens Abfahrt hatte er bemerkt, dass sämtliche Kameras des Hauses abgestellt waren. Anderling hatte dafür keine Erklärung – außer, dass ihm bei der Bedienung neulich ein Fehler unterlaufen sein musste. Nur gut, dass seine Chefin das Malheur nicht bemerkt hatte!
Mit offenem, zu engem Jackett
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