Gehetzt - Thriller
der Polizei zu sein. Als ob es irgendetwas Geheimnisvolles oder Unheimliches an sich hätte. Dabei ist es die meiste Zeit stinklangweilig. Auch wenn es immer wieder anders ist, ist es doch immer wieder das Gleiche. Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll. Man kann es vielleicht mit der Zugehörigkeit zu einer Gang vergleichen: Du hängst in deiner uniformen Kluft rum, gurkst in der Gegend herum und handelst dir Ärger ein.«
»Und wie hast du das tagein, tagaus ausgehalten?« Michelle ließ eine Hand in die ihres Mannes gleiten. »Immer mit Leuten zu tun zu haben, die dich für das, was du tust, hassen oder stinksauer sind, weil du ihnen einen Strafzettel verpasst, oder die vor Kummer schier den Verstand verlieren? Wie bist du damit emotional zurechtgekommen?«
Diane kam sich vor wie eine Gastrednerin in einem Proseminar in So ziologie. Doch diese Leute waren eindeutig sehr nett und auf richtig und schie nen ehrlich interessiert. Sie bedachte Tom, der inzwischen zu ihnen zurückgekehrt war und seinen Arm um Gails Schultern gelegt hatte, dem Gespräch aber aufmerksam folgte, mit einem argwöhnischen Blick. Gail senkte den Kopf, nippte an ihrem Wein und wich Dianes Blick aus.
»Emotional? Du musst alles ausblenden. Schließlich kannst du dir nicht die Augen ausheulen, wenn du einen Verletzten aus einem Autowrack befreien und in einen Rettungswagen verfrachten musst. Oder wenn du versuchst, alle Einzelheiten über eine Vergewaltigung zu erfahren, damit du das Arschloch schnappen kannst, das es getan hat. Oder wenn du in sonst was für Situationen gerätst. Wollt ihr die Wahrheit hören?«
Alle nickten.
»Du lachst darüber. Du blendest alles aus, schließt es in deinem Inneren weg und machst schlechte Witze darüber.«
Michelle nippte an ihrem Glas, wobei sie Diane jedoch nicht aus den Augen ließ.
»Man nennt es kranken Polizistenhumor. Damit bringst du dich über den Tag. Aber manchmal, wenn du mit Leuten zusammen bist, die keine Polizisten sind und auch keine kennen, und du im unpassenden Moment lachst, verstehen sie dich nicht. Und denken, du bist durchgeknallt.«
»Also in Wahrheit ist es eine Art Abwehrmechanismus?« Chris sah sie aufmerksam an. Sie nickte.
»Das erklärt vieles«, sagte Gail und lächelte Diane an. Sie versuchte, das Gespräch umzulenken, da das Thema Diane offenkundig nicht behagte.
»Also, was kannst du uns über diesen Tropfen erzählen?«, fragte Diane an Chris gewandt und hielt ihr Glas ins Licht.
Er schwenkte seinen Wein und nahm einen bedachtsamen Schluck. »Hmm.« Er nahm das Gehabe eines spießigen Dozenten an, grinste einmal kurz und kehrte wieder zu seinem normalen Verhalten zurück. »Ich würde sagen«, er räusperte sich, »also, ich würde diesen Wein als schwer bezeichnen, er erinnert im Duft an eine klassische dunkle Frucht, mir kommt Pflaume in den Sinn. Im Mund erschmecke ich dunkle Töne und Eichenholz, er fließt interessant und saftig über die Zunge und hinterlässt Akzente von Kirsche und ungesüßter Schokolade. Ausgewogenheit und Kombination sind exzellent, ebenso Tiefe und Struktur.«
»Wahnsinn«, staunte Diane. »An der Uni bist du bestimmt ein superscharfer Notengeber.«
Michelle, Gail und Diane warfen sich Blicke zu, Michelle leicht entschuldigend, aber nicht minder ernst. Tom zwinkerte ihnen zu, erhob sein Glas und betrachtete den Wein.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte er. »Viel verstehe ich ja nicht von Wein.« Chris sah ihn aufmerksam an. »Was die schwere Nase angeht, stimme ich dir zu, aber im Duft entdecke ich Johannisbeere
und Schokolade. Und mir gefällt, wie der solide Eintritt im Abgang zu einem opulenten, vollmundigen Geschmack führt. Angenehme, feste Gerbstoffe, vor allem gefällt mir der reinsortige Hauch von Bleistiftgeschmack.«
Gail und Michelle mussten sich zusammenreißen, nicht laut loszulachen.
»Wahnsinn«, sagte Diane. »Ich habe seit der zweiten Klasse keine Bleistiftmine mehr probiert.«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte Chris. »Macht euch nur über mich lustig. Aber ihr müsst zugeben, dass dieser Vino ausgezeichnet ist.« Er leerte sein Glas.
»Ak zep tiert«, sagte Mic hel le. »Was hältst du da von, jetzt den Grill anzuschmeißen? Wir kümmern uns in der Zeit um den Fisch. Hast du eigentlich Thunfisch bekommen?«
Er nickte und war bereits auf dem Weg zur Tür. Tom folgte ihm.
Michelle leerte die Gemüseschublade auf dem Küchentresen: drei verschiedene grüne Salate, eine Gurke, ein paar Möhren und eine
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