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Gehetzt - Thriller

Titel: Gehetzt - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wozencraft Baerbel Arnold Velten Arnold
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Tochter durchgebrannt ist.
    Gail versuchte mit aller Kraft, es nicht an sich heranzulassen, versuchte, jenen Ort auf zusuchen, an den sie sich selbst in all diesen Jahren so oft entführt hatte. Den Ort des Nichts, an dem es keine Gefühle gab, an dem sie nicht ein mal wirklich existierte. Sie versuchte, eine verhärtete Gefangene zu sein. Sie lachte.
    Was war Dianes Problem? Gail musste nicht lange fragen. Dianes Problem war das Gleiche wie ihres, dessentwegen sie vor all den Jahren ins Gefängnis gekommen war: Sie litt unter der irrigen Annahme, dass es im Leben gerecht zugehen sollte oder dass zumindest die Menschen untereinander Gerechtigkeit walten lassen sollten. Aber die Welt war nicht ge recht. Sie war einfach nur da, mit all ihrem Schmutz und all ihrer
Schönheit. Aber die Menschen hatten ein Bewusstsein, ein Gedächtnis, einen Willen. Menschen sollten gerecht sein. Das Justizsystem sollte funktionieren. Diane wollte ihren Auftritt vor Gericht, und Gail wusste nur zu gut, wie es war und was für eine Wut es erzeugen konnte, abgewiesen zu werden.
    Zurück ins rich tige Leben, zurück in die Wirklichkeit. Gail langte in ihre Tasche und nahm das kleine blaue Plastikhandy mit dem kleinen Kängurulogo über der Tastatur heraus. Sie steckte sich die Ohrknospe ins Ohr - ein Wort, das sich eigent lich eher anhörte wie etwas, das ein Dermatologe vom Ohr entfernte als etwas, das man sich reinstecken sollte. Die Sprechmuschel war eine durchlöcherte schwarze Plastikblase, die an dem Kabel hing, mit dem die Ohrknospe in das winzige Wegwerfhandy gesteckt wurde. Es war wirk lich zu abgedreht. Oder sciencefictionmäßig. Überall dieser Plastikscheiß. Bitte recycle auch mich. Wir sind nur noch eine Dekade von Soylent Green entfernt, oder? Gail tippte Dianes Nummer ein, eine der diversen Nummern, die sie sich eingeprägt hatte, und drückte auf die Anruftaste. Bisher war es ihr noch gar nicht aufgefallen, aber mitten über der grünen Anruftaste und der roten Taste für das Beenden eines Gesprächs gab es noch eine weitere einzelne Taste in demselben Unheil verkündenden Rot wie die Beenden-Taste: 911. Sie sollte einen davor bewahren, drei Knöpfe drücken zu müssen, anstatt nur ei nen. Aber vielleicht war der Zweck dieser Taste auch gar nicht so sehr ein funktiona ler, sondern vielmehr ein psychologischer. Es war ein Panikknopf für Notsituationen, dazu da, immer daran zu erinnern, dass die Dinge entsetzlich und furchtbar schieflaufen konnten, wenn man am wenigstens damit rechnete. Man würde Hilfe brauchen. Man würde so dringend Hilfe brauchen, dass man nicht einmal mehr in der Lage sein würde, sich an drei schlichte Ziffern zu erinnern. Das Einzige, wozu man noch imstande sein
würde, wäre, die Notruftaste zu drücken. Denk immer an die Notruftaste. Sie ist da, um einen daran zu erinnern, dass man Angst haben muss. Gail schüttelte betrübt den Kopf, während ihr bewusst wurde, dass die USA AG das Land der Freien in all den Jahren, in denen sie an einem Ort eingesperrt gewesen war, den die gesetzestreuen Bürger und die Kriminellen gleichermaßen fürchteten und verabscheuten, mit einer Kultur der Angst überzogen hatte (wer konnte den Unterschied zu früher überhaupt noch erkennen?). Einer Kultur, die es ihnen gestattete, sich die Bürger nach Belieben gefügig zu machen. Und die breite Masse konnte nur noch flüstern Beschützt uns, ganz egal, was es kostet, haltet uns nur all die Monster vom Leib, die sich unter unseren Betten verstecken. 1984 war da; es war nur um zwei Dekaden verspätet Realität geworden.
    Sie wählte Dianes Handynummer.
    Sie hörte es klingeln, dann ein Klicken, und dann eine Computerstimme, die sagte Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Gail drückte die Beenden-Taste. Super. Wirklich klasse.
    Es blieb ihr nichts an de res üb rig, als zu war ten. Zu warten und zu hoffen, dass Diane beschloss, sich, aus welchem Grund auch immer, bei ihr zu melden. Vielleicht, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie einfach das Auto genommen hatte. Genau. Sie legte sich auf ihr Bett. Sie musste nachdenken, zu einem Schluss kommen, wohin sie als Nächstes wollte. Sie würde eine neue Kreditkarte brauchen und wahrscheinlich, um auf Nummer sicher zu gehen, auch eine neue Identität. Nicht dass sie glaubte, Diane würde sie bei den Bullen verpfeifen, wenn sie wieder im Knast landete - was sehr wahrscheinlich war. Aber es wäre besser, sich deshalb erst gar keine Sorgen machen zu müssen. Gail würde noch

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