Gehetzt - Thriller
abgerichtet worden waren, die Hand ihres Herrn zu lecken.
»Los, weiter«, flüsterte Diane. Gail zog ihre durchtränkte Socke hoch und schnürte den Stiefel zu. Diane nahm sie bei der Hand, zog sie hinter sich her und fiel in einen leichten Lauf. Gail folgte ihr und hoffte, dass die Taubheit ihres Knöchels so lange anhalten würde, bis sie irgendwo ankamen, wo auch immer. Weiß der Geier, wohin sie unterwegs waren.
Zurück ins Ge fängnis, noch mal fünf Jah re obendrauf für die Flucht?
Nein!
Die Angst brachte einen Energieschub. Gail schal tete einen Gang hoch.
Sie joggten, sie rannten, sie kämpften sich durch das Gestrüpp und die Dunkelheit. Diane fühlte sich merkwürdig ruhig. Sie dachte daran, wie sie sich beim jährlichen Hindernislauf der Boltoner Stadtpolizei ins Zeug gelegt hatte; sie war immer auf einem der ersten fünf Plätze gelandet und hatte es all ihren bierbäuchigen Polizeikollegen gezeigt, deren Vorstellung von Sport darin bestand, sich eine Dose Bier an die Lippen zu heben, während sie in der Glotze die Spiele der National Football League verfolgten.
Gail hielt sich unmittelbar hinter Diane, lief mit ihr im Gleichschritt. Halt einfach durch! Diane bahnte sich ihren Weg, die Augen auf das winzige Stück Boden gerichtet, das von der Taschenlampe angestrahlt wurde. Es war, als würde sie bei Nacht mit nur einem Scheinwerfer viel zu schnell durch dichten Nebel rasen, um auch nur irgendetwas erkennen zu können.
Sie rannte beinahe dagegen, spürte es jedoch, noch bevor sie es sah. Diane hielt an, riss die Taschenlampe hoch und
leuchtete auf Schulterhöhe um sich. Jene Nacht an dem See blitzte vor ihrem geistigen Auge auf. Die Leichen. Ihr Adrenalinspiegel hatte sowieso schon den ma ximalen Pegel erreicht, ihr Herz raste mit Höchstgeschwindigkeit, ihr Atem ging schnell, aber regelmäßig. Und dann schaffte sie es, sich zu konzentrieren. Der Lichtstrahl er fasste die raue, verrottende Zedernholzwand einer Hütte.
Eine Jägerhütte. Dunkel. Hoffentlich war niemand da.
Diane knipste die Taschenlampe aus und schlich sich an die Hütte heran. Sie ertastete leise den Weg.
Mondlicht sickerte zwischen den Bäumen hindurch und warf grauweiße Lichtflecken auf den Boden, die flackerten, wenn eine Brise die Zweige erfasste.
Diane verweilte einen langen Moment an der Tür der Hütte und lauschte. Gail fragte sich, ob Diane ihr Herz schlagen hörte. Sie selber hatte das Gefühl, dass ihr von dem Druck jeden Moment die Trommelfelle zu platzen drohten.
Ein Brett knarrte, als Gail die kleine Veranda vor der Hütte betrat. Diane funkelte sie im Mondlicht wütend an. Gail erstarrte und hielt die Luft an, als Diane die Vordertür berührte.
Sie ließ sich problemlos öffnen, doch als Diane die Tür aufschob, quietschte sie so jämmerlich laut, dass das Geräusch ohne Weiteres einem Horrorthriller hätte entstammen können. Diane stieß die Tür kraftvoll auf, brachte sie so zum Schweigen, knipste die Taschenlampe an und leuchtete schnell den Raum ab. Zwei muffige Pritschen, ein kleiner Tisch, ein Holzofen, eine Vorratskammer und ein paar Wandhaken, an denen Kleidung hing. Es roch nicht so, als ob in letzter Zeit jemand da gewesen wäre.
Gail betrat die Hütte, riss die Augen weit auf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
»Nicht mal abgeschlossen«, flüsterte sie.
»Nein«, erwiderte Diane. Sie sprach normal, doch es kam
Gail ziemlich laut vor. »Schlösser halten keine Diebe fern. Sie sorgen nur dafür, dass ehrliche Menschen ehrlich bleiben.«
»Von uns abgesehen.«
»Ich weiß ja nicht, wie es um dich bestellt ist, aber ich für meinen Teil betrachte mich als ehrlich.«
»Wir brechen gerade in eine Hütte ein, oder?«
»Zwei verzweifelte Strafgefangene«, entgegnete Diane, »die ehrlich Hilfe brauchen, bevor diese verdammten Hunde ihnen auf den Pelz rücken. Also los - was können wir hier gebrauchen? Wasser? Ein paar Pflaster? Ich denke, das werden uns die Jäger gerne überlassen.« Diane ging zum Schrank, leuchtete hinein und wühlte darin herum. Metalldosen schabten über Holz.
»Was soll’s, die Tür war offen. Das Zeug sieht aus wie Bier oder Pflaumensaft. Was möchtest du trinken?«
»Später«, entgegnete Gail.
»Gail! Wir haben keine Zeit.«
Gail ignorierte sie, setzte sich auf eine der Prit schen und zog ihren Schuh und ihre Socke aus. Diane stellte die Ge tränke ab, kam zu ihr und leuchtete die Wunde an.
»Aua«, bemerkte sie.
»Aua ist genau das richtige
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