Gehetzt - Thriller
hatte absolut keine Ähnlichkeit mit ihrem Verbrecherfoto. Wenn sie auch heute noch von dieser verächtlichen Trotzigkeit erfasst wurde, was durchaus der Fall sein konnte, war sie in zwischen fähig, sie zu kaschieren. Ihre Augen waren jetzt ruhig, ihr Haar tipptopp frisiert. Wenn sie in ein Ge schäftskostüm schlüpfte, könnte sie glatt als Anwältin oder Börsenmaklerin oder Geschäftsführerin durchgehen. Ekelerregend. Aber nützlich.
Dianes Veränderung war nicht ganz so frappierend, da ihr Foto nur ein paar Monate alt war. Aber ihr Haarschnitt und die neue Haarfarbe hatten eine Menge bewirkt. Gail glaubte nicht, dass irgendein Polizist auf der Straße Diane erkennen würde, vorausgesetzt, sie zog nicht ihre Knarre hervor und wedelte damit vor irgendjemandes Gesicht herum. Sie sah recht punkig aus, auf modische Weise.
»Hast du den Artikel gelesen?«
»Nein!«, platzte Diane heraus. »Ich habe nur die Schlagzeile gesehen. Jemand hat die Zeitung im Speisewagen liegen lassen, und ich habe sie mir geschnappt.«
Gail überflog den Artikel. Es gab ein Foto der Bundesjustizvollzugsanstalt Sundown, auf dem der Knast aussah wie ein Masochistenschloss, und ein weiteres Foto von Gail mit einigen anderen Gefangenen, dass, wie sie sich jetzt er innerte, aufgenommen worden war, als das Alphabetisierungsprogramm noch gelaufen war und die Bundesknastoberen aller Welt hatten zeigen wollen, was für tolle Rehabilitierungsprogramme sie anboten. Es hatte etwas mit den Geldzuweisungen für das kommende Jahr zu tun gehabt. Auf diesem Foto sah sie etwas gelassener aus, sie lächelte beinahe. Aber es war ebenfalls uralt. Aufgrund dieser in der Zeitung veröffentlichten Fotos würden weder sie noch Diane erkannt werden.
»Diese Arschlochbande«, schimpfte Gail. Diane stand da und wartete. »Ich wette, es war Johnson. Es muss Johnson gewesen sein.«
»Was denn, Himmelherrgott noch mal, sag’ es mir!«
»Sie zitieren eine ungenannte Quelle, jemanden, der im Gefängnis Sundown arbeitet und behauptet, es sei offensichtlich gewesen, dass ich die Flucht schon seit geraumer Zeit geplant hätte. Sie vermuten, dass ich dich gezwungen habe mitzukommen.«
»Na und?« Diane lächelte. »Können die wirklich so dämlich sein?«
»Würdest du in einem Gefängnis arbeiten, wenn du einen anderen Job kriegen könntest? Irgendeinen anderen Job?«
»Ihre Beschränktheit könnte sich aber auch zu unseren Gunsten auswirken.« Diane setzte sich neben Gail auf das kleine Sofa und starrte den Artikel an. »Ich meine, wenn sie das wirklich glauben, denken sie vielleicht auch, dass ich versuche, mich baldmöglichst allein davonzumachen, oder dass wir uns bereits getrennt haben.«
»Ich glaube, fürs Erste geben wir uns am besten als Mutter und Tochter aus.«
»Vergiss es. Ich habe zu viele Aversionen gegen meine Mutter, um das glaubhaft durchzuziehen.«
»Dann unterdrück sie.«
»Lass uns lieber einfach nur Freundinnen sein. Kei ne Verwandten. Außerdem siehst du nicht alt genug aus, um meine Mutter sein zu können.«
»Der Knast hält eben fit. Das gesunde Leben, der regelmäßige Tagesablauf. Das lässt dich jung aussehen, selbst wenn du dich fühlst wie der Methusalem-Baum in Kalifornien, 4643 Jahre alt. An manchen Tagen habe ich mich da drinnen genau so gefühlt: als ob ich dicke Wurzeln geschlagen hätte und schon seit Tausenden von Jahren da stünde.«
»Mama?« Diane sprang auf. »Es geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil das Wort so ei nen schlechten Geschmack in meinem Mund hinterlässt.«
»Du redest über sie, als wäre sie ein Ungeheuer.«
»Das war sie auch irgendwie.«
»Sie war krank, Diane.«
»Woher willst du das wissen? Du hast sie doch nie kennengelernt.«
»Ich habe eine Menge Leute wie sie kennengelernt. Und ich sage dir eins: Am besten vergibst du ihr und bist nicht nachtragend. Ich weiß, dass wir uns noch nicht besonders gut kennen, aber ich habe das Gefühl, dass du eine ganze Menge Wut mit dir herumschleppst. Ich weiß, wie sich das anfühlt …«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
»Ich weiß, wie es sich anfühlt, einen Haufen Wut mit sich herumzuschleppen. Es frisst dich auf. Du musst sie ab schütteln!«
»Und wie stellt man das, bitte schön, an?«
»Ich fürchte, das musst du selbst herausfinden.«
»Gut, ein andermal. Was steht da noch drin?«
Gail überflog den Artikel. »Die meistgesuchten Straftäter Amerikas. Wir sind diese Woche die meistgesuchten Straftäter Amerikas.«
»Ach, du
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