Gehetzt
begegneten. Alles hing von der Frage ab, wie bald sie auf die geballten Streitkräfte stießen.
Sie kamen an dem Haus vorbei, aus dem Reynolds ihn gerettet hatte. Barnes war sicher, es im Vorbeifahren erkannt zu haben, obwohl seine Sicht begrenzt war und er sich hauptsächlich auf Colburns Anweisungen über Bordfunk verlassen mußte. Der Fahrersitz war auf die niedrigste Position heruntergedreht, und das geschlossene Luk über seinem Kopf sperrte die Außenwelt bis auf den schmalen Sehschlitz vor ihm aus. Fast zehn Zentimeter dickes, kugelsicheres Panzerglas und siebzig Millimeter dicke Stahlplatten schützten ihn vor direktem Beschuß. Der gesamte Vorbau des Tanks bestand aus massiven Panzerplatten, so daß der Fahrer in seinem Abteil relativ sicher war. Nur wenn der Tank Feuer fing und die Kanone im niedrigsten Winkel nach vorn zeigte und so den Fahrer am Aussteigen hinderte, wurde es gefährlich. Zynische Panzerfahrer behaupteten, nur aus diesem Grunde hätte man sie mit einem Revolver ausgerüstet – um einen angenehmeren Tod zu finden, als bei lebendigem Leibe zu verbrennen.
›Verdammt, warum denke ich ausgerechnet jetzt an so was‹, dachte Barnes. Jetzt erlebte er selbst einmal, was der arme Reynolds manchmal durchgemacht haben mußte.
Der Sergeant konnte nur beten, daß Colburn mit einer Mills-Handgranate umgehen konnte, wenn es nötig war. Der Kanadier hatte ihm erzählt, ein britischer Staff-Sergeant habe ihm ihre Funktionsweise auf einem Bombenübungsplatz erklärt, und Barnes konnte sich Colburns Interesse für den Mechanismus eines solchen Sprengkörpers vorstellen.
Trotzdem…
»Barnes.« Colburns Stimme drang klar aus dem Kopfhörer.
»Wir nähern uns einem Platz. Nach Ihrer Skizze müssen wir quer drüber, was weiter auch kein Problem wäre. Aber ich sehe Lichter. Fahren Sie mal weiter, ich bleibe in der Leitung.«
Oben im Turm starrte Colburn angestrengt nach vorne. Die Lichter schimmerten durch die Äste von ein paar Bäumen, die sich auf dem von Häusern gesäumten Platz in den grauenden Morgen reckten. Die Lichter bewegten sich nicht. Colburn sah keine Soldaten, nicht das geringste Anzeichen von Gefahr. Nur die Lichter kamen näher.
Barnes hatte ihm erzählt, daß, soweit er das bei der Patrouille mit Jacques hatte erkennen können, alle Zivilisten aus dem Ort evakuiert worden waren. Was durchaus Sinn machte, da die Deutschen das Dorf als Ausgangspunkt für eine neuerliche Offensive benutzten. Barnes und der Junge waren bis zum Haus von Jacques’ Vater vorgedrungen, hatten aber niemanden angetroffen. Mit anderen Worten, jedes Lebenszeichen bedeutete eine Gefahr für sie.
Sie näherten sich dem offensichtlich verlassenen Platz, und Colburn beugte sich von einer Seite zur anderen, um besser sehen zu können. Da war etwas – und im nächsten Moment sah er sie.
»Barnes, am anderen Ende des Platzes stehen ein paar Kräder mit Seitenwagen. Die Scheinwerfer brennen, aber niemand ist zu sehen.«
Barnes brachte den Motor auf eine höhere Drehzahl und starrte nach vorn, wo die Panzerscheinwerfer schon die Straße hinter dem Platz beleuchteten. Er saß eingezwängt zwischen Kisten mit Sprengkapseln, und die Nähe der Explosivkörper trug nicht gerade zu seinem Wohlbefinden bei. Trotzdem hatte er darauf bestanden, die Kisten einzuladen, um die Wucht der rollenden Bombe zu vergrößern. Jetzt fragte er sich, ob diese Entscheidung wirklich so gut gewesen war. Wie Colburn behauptete, waren britische Sprengkapseln sehr instabil. Die Deutschen benutzten Trotyl, das wesentlich sicherer war. Und Colburn mußte es ja wissen.
Sie hatten den Platz schon zur Hälfte überquert, und im Unterbewußtsein wartete Barnes auf Colburns Stimme – die nur Ärger bedeuten konnte. Die dunkle Straßeneinmündung flog auf ihn zu. Sie hatten den Platz hinter sich.
Gepreßt kam Colburns Stimme über den Hörer.
»Sie kamen gerade heraus, als wir den Platz verließen. Zwei Deutsche. Sie blieben stehen und starrten uns ein paar Minuten nach. Dann sprangen sie auf eins der Kräder.«
Barnes schaute nach vorn. Der Tanz begann früh – fast zu früh. Weiter vorn lag eine Linkskurve. Er mußte das Tempo stark drosseln, um sie zu passieren, und gerade jetzt, wo sich ihnen dieses Motorrad an die Fersen heftete, war der am wenigsten geeignete Moment, um die Geschwindigkeit wegzunehmen. Er wünschte sich sehnlichst, das Interkom wäre ein Zweiwegsystem, um Colburn vor dem Mann im Seitenwagen zu warnen, dem Soldaten, der
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