Gehetzt
flußabwärts. Sein Körper schoß durch die Fluten, wurde durch die starke Strömung vorwärts getragen. Während seiner Zeit als Berufssoldat in Indien war Barnes Divisionsschwimmeister gewesen. Doch jetzt brach er alle Rekorde, er schwamm um sein Leben und das seiner Kameraden. Unter seinem Hemd begann die Wunde zu pochen, und er spürte seine Kräfte langsam schwinden. Er schwamm mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Gleich hatte er den Toten eingeholt. Meter um Meter arbeitete er sich heran, Meter um Meter näherte er sich auch der Flußbiegung.
Er war nur noch eine Armlänge hinter dem Leichnam, als er mit dem Knie gegen einen Felsen unter der Wasseroberfläche stieß. Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Bein und lähmte ihn eine Sekunde. Doch er schwamm weiter, die Augen sogen sich am Ende der Flußbiegung fest, die der Leichnam, jetzt wieder einige Meter vor ihm, schon erreicht hatte. Der Tote in der deutschen Uniform rollte leicht in der Strömung und trieb auf das Flußstück oberhalb der Brücke zu.
Barnes hatte es nicht geschafft.
Rasch überflog er die Szenerie, sah den Brückenbogen mit dem niedrigen Geländer und den Posten auf der anderen Seite, der ihm den Rücken zuwandte. Barnes holte tief Luft und tauchte fast bis zum Grund, schob sich mit kraftvollen Armbewegungen vorwärts, bis er über sich einen dunklen Schatten gewahrte. Er langte hinauf, packte den Körper um die Hüfte und zerrte ihn mit aller Kraft nach unten. Der Körper drehte sich im Wasser, und Barnes mußte mehrmals nachfassen. Die Brücke lag nicht weit von der Flußbiegung entfernt, doch dem Sergeant kam die Strecke endlos vor. Der Körper schien ein Eigenleben zu entwickeln, um Barnes’ Griff zu entschlüpfen.
Angestrengt beobachtete der Sergeant das Licht auf der Wasseroberfläche über sich, um rechtzeitig zu erkennen, wann er unter der Brücke war. Seine Lungen drohten zu bersten, er mußte die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht nach Luft zu schnappen. Sein Herz pochte wie ein Dampfhammer.
Immer noch kein Schatten auf der Oberfläche. Barnes stieß langsam den Atem aus, sah endlich das ersehnte Dunkel auf der Oberfläche, tauchte genau unter der Brücke auf und füllte die Lungen mit Luft. Dann wartete er am Ufer und hielt sich mit einer Hand fest.
Ein Panzer ratterte über die Brücke. Niemand würde verdächtige Geräusche unter der Brücke wahrnehmen. Mit der linken Hand hielt der Sergeant sich an der Uferböschung fest, die rechte hatte er in die Kleidung des Toten gekrallt. Jetzt kam der schwierigste Teil. Wie kam er am besten ans Ufer?
Der Panzer rollte davon. Barnes wartete. Als der nächste herankam, kletterte er ans Ufer und versuchte den Toten an Land zu hieven. Der Körper war schwer wie Blei, und beinahe hätte er Barnes wieder in den Fluß gezogen. Doch der Engländer schlang beide Arme um die Hüften der Leiche, stemmte sie hoch und versuchte sie mit einem kräftigen Schwung über den Uferrand zu zerren. Es war eine grausige Arbeit. Barnes sprang nochmals ins Wasser und rollte den Körper der Länge nach die Böschung hinauf. Dabei hatte er den Kopf nahe beim Gesicht des Toten, dessen weit offene Augen ihn klagend anstarrten. Die nassen Haare klebten an der bleichen Stirn.
Barnes wartete, bis der nächste Panzer heran war, zerrte den Oberkörper des Toten mit letzter Kraft in ein dichtes Gebüsch.
Danach sank er selbst erschöpft ins Gras.
Die Brücke, unter der er lag, war viel schmäler als die erste, gerade breit genug für eine Fahrspur, der Fußweg bis dicht an die Mauer von Strauchwerk überwuchert. Ausgezeichnet, niemand würde den toten Posten finden, wenn man nicht nach ihm suchte. Barnes kannte das Vorgehen der Deutschen inzwischen zur Genüge. Die Vorhut kontrollierte alles gründlich vor Ankunft der Einheit, doch niemand hielt eine weitere Überprüfung für nötig, wenn die Kolonne durch war.
Er durfte nur keine Aufmerksamkeit erregen.
Der Sergeant war völlig außer Atem. Seine Schulterwunde und die Kniescheibe schmerzten höllisch, die Hände und das Gesicht waren verkratzt von Dornen und Ästen. Er blieb mehrere Minuten lang liegen und hielt dabei die Pistole schußbereit in der Hand. Nur der Himmel wußte, ob das Ding nach dem Bad im Fluß überhaupt noch funktionierte.
Barnes hörte die Kolonne über sich hinwegrumpeln und erholte sich allmählich wieder. Doch wehrte sich sein Geist mit aller Macht gegen den Gedanken, die gleiche Strecke zurückschwimmen zu müssen. Als er
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