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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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Thom nicht auf die Nerven gehen.«
    »Lieber etwas Koffein.« Sie goss sich einen schwarzen Kaffee ein und nahm einen der Hafermehlkekse, die der Betreuer auf den Tisch gestellt hatte. Er hatte sie selbst gebacken.
    Dance sah auf die Uhr. In Kalifornien war es drei Stunden früher. »Bitte entschuldigen Sie mich kurz. Ich möchte zu Hause anrufen.«
    »Nur zu.«
    Sie nahm ihr Mobiltelefon. Am anderen Ende hob Maggie ab.
    »Hallo, mein Schatz.«
    »Mama.«
    Ihre Tochter war sehr mitteilsam, und Dance bekam zehn Minuten lang ausführlich geschildert, was für einen schönen weihnachtlichen Einkaufsbummel das Mädchen mit seiner Großmutter unternommen hatte. »Und dann sind wir wieder hergekommen, und ich habe Harry Potter gelesen«, schloss Maggie.
    »Den neuen?«
    »Ja.«
    »Das wie vielte Mal ist das?«
    »Das sechste.«
    »Würdest du nicht gern mal etwas anderes lesen und deinen Horizont erweitern?«
    »Sag mal, Mom, wie oft hast du dir eigentlich schon Bob Dylan
angehört?«, erwiderte Maggie. »Dieses Blonde-on-Blonde -Album. Oder U2?«
    Ihre Logik war bestechend. »Na gut, mein Schatz, du hast gewonnen. Aber verdirb dir nicht die Augen.«
    »Mom, wann kommst du nach Hause?«
    »Wahrscheinlich morgen. Ich hab dich lieb. Bitte gib mir mal deinen Bruder.«
    Wes kam ans Telefon, und auch mit ihm plauderte sie eine Weile, wenngleich etwas zögernder und ernster als mit ihrer Tochter. Er hatte zuvor schon angedeutet, er wolle Karateunterricht nehmen, und nun fragte er sie direkt danach. Dance jedoch wäre es lieber gewesen, er hätte sich als dritte Sportart neben Fußball und Baseball etwas weniger Kampfbetontes ausgesucht. Seine muskulöse Statur wäre perfekt für Tennis oder Turnen geeignet, aber das gefiel ihm beides nicht.
    Als Verhörspezialistin wusste Kathryn Dance sehr viel über das Thema Wut; sie begegnete ihr sowohl bei den Verdächtigen als auch bei den Opfern, die sie nach einem Verbrechen befragte. Ihrer Meinung nach lag Wes’ jüngstes Interesse an Kampfsportarten in dem Zorn begründet, der sich seit dem Tod seines Vaters immer wieder wie eine Wolke über ihn legte. Gegen sportlichen Wettbewerb war nichts einzuwenden, aber Dance glaubte nicht, dass ein Kampfsport zum jetzigen Zeitpunkt das Richtige für Wes wäre. Gebilligte Wut kann sich als sehr gefährlich erweisen, vor allem bei Heranwachsenden.
    Sie erörterte das Thema mit ihm.
    Die Arbeit am Fall des Uhrmachers hatte Kathryn Dance die Bedeutung der Zeit deutlich vor Augen geführt. Sie erkannte, wie häufig sie in ihrem Beruf – und bei ihren Kindern – darauf zurückgriff. Zorn beispielsweise legt sich sehr schnell (kaum ein Wutausbruch dauert länger als drei Minuten). Und je mehr Zeit verstreicht, desto weniger wehrt man sich gegen eine andere Meinung – zumeist auch ohne den lautstarken Austausch der gegensätzlichen Positionen. Dance sprach sich nun nicht explizit gegen den Karateunterricht aus, sondern überzeugte ihren Sohn, es mit ein paar Tennisstunden zu versuchen. (Sie hatte einmal gehört, wie er zu einem Freund sagte: »Es kann echt ätzend sein, wenn deine Mutter ein Cop ist.« Dance hatte unwillkürlich lachen müssen.)

    Wes’ Laune änderte sich auf einmal, und er erzählte begeistert von einem Film, den er im Pay-TV gesehen hatte. Dann piepte sein Mobiltelefon. Ein Freund hatte eine SMS geschickt. »Ich muss jetzt Schluss machen, Mom. Tschüs, bis bald, ich hab dich lieb.«
    Klick .
    Das spontane »ich hab dich lieb« wog die ganze Diskussion auf.
    Dance sah Rhyme an. »Haben Sie Kinder?«
    »Ich? Nein. Ich glaube nicht, dass ich gut mit Kindern umgehen könnte.«
    »Das glaubt niemand , bis er welche hat.«
    Er musterte die allgegenwärtigen Ohrhörer ihres iPod, die sie um den Hals trug wie ein Arzt sein Stethoskop. »Sie mögen Musik, schätze ich... Na, ist das nicht eine clevere Schlussfolgerung?«
    »Musik ist mein Hobby«, sagte Dance.
    »Wirklich? Spielen Sie ein Instrument?«
    »Ich singe manchmal. Früher war ich auf dem Folk-Trip. Inzwischen nehme ich mir mitunter ein paar Tage frei, verfrachte die Kinder und Hunde in ein Wohnmobil und mache mich auf die Suche nach Songs.«
    Rhyme runzelte die Stirn. »Davon hab ich schon mal was gehört. Es heißt...«
    »Meistens nennt man es Liederjagd.«
    »Genau, das war’s.«
    Für Kathryn Dance war es eine Passion. Sie führte damit eine regelrechte Tradition fort. Schon seit langem fuhren Leute an die entlegensten Orte, um dort authentische Aufnahmen der

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