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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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einheimischen Musik anzufertigen. Der bekannteste von ihnen war vermutlich Alan Lomax, der die gesamten USA und Europa bereist hatte, um Lieder aus alter Zeit festzuhalten. Dance war zu diesem Zweck einige Male die Ostküste entlanggefahren, aber diese Region war mittlerweile weitgehend erschlossen worden. In letzter Zeit hatte sie sich daher den Städten im Landesinnern zugewandt, außerdem Nova Scotia, Westkanada, der Golfküste und Gegenden, in denen viele Latinos lebten, wie Süd- und Zentralkalifornien. Dance nahm die Lieder auf und katalogisierte sie.
    Sie erzählte Rhyme davon und erwähnte auch eine Internetseite, auf der sie und eine Freundin Informationen über die Musiker, die
Liedtexte und die eigentliche Musik zusammengefasst hatten. Gemeinsam halfen sie den Künstlern dabei, ihre Werke urheberrechtlich schützen zu lassen, und leiteten die Gebühren weiter, die jeder Interessent für das Herunterladen der Titel zu entrichten hatte. Es waren bereits mehrere Musikverlage auf die Seite aufmerksam geworden und hatten für so manches Stück das Recht erworben, es im Rahmen kleinerer Filmprojekte nutzen zu dürfen.
    Kathryn Dance erzählte Rhyme allerdings nichts davon, welche tiefere Bedeutung Musik für sie besaß.
    Dance fühlte sich oft überlastet. Um gute Arbeit abzuliefern, musste sie sich den Zeugen und Kriminellen, die sie befragte, sehr stark annähern. Einen Meter vor einem psychotischen Killer zu sitzen und stunden-, tage- oder wochenlang mit ihm zu ringen, war faszinierend, aber auch strapaziös und kraftraubend. Dance war so gründlich und ließ sich stets so tief auf das jeweilige Gegenüber ein, dass sie dessen Gefühle noch lange nach dem Ende der Sitzungen empfand. Und in ihrem Kopf hörte sie wie in einer Endlosschleife die Stimmen der Menschen.
    Sí, sí, okay , sí, ich hab sie getötet. Hab ihr die Kehle durchgeschnitten... Na ja, ihrem Sohn auch, diesem Jungen. Er war da. Er hat mich gesehen. Ich musste ihn töten. Ich meine, wer hätte da anders gehandelt? Aber sie hat es verdient, so wie sie mich angesehen hat. Das ist nicht meine Schuld. Was ist jetzt mit der Zigarette, die Sie mir versprochen haben?
    Die Musik war ein wundersames Heilmittel. Wenn Kathryn Dance den Liedern von Sonny Terry und Brownie McGhee zuhörte, von U2, Bob Dylan oder David Byrne, dann wurde sie nicht länger von der Erinnerung an einen entrüsteten Carlos Allende geplagt, der sich beschwerte, der Verlobungsring des Opfers habe ihm die Handfläche zerkratzt, während er der Frau die Kehle aufgeschlitzt hatte.
    Das hat echt wehgetan, das können Sie mir glauben. Diese Schlampe ...
    »Sind Sie je professionell aufgetreten?«, fragte Rhyme.
    Ja, einige Male. Aber diese Jahre – erst in Boston, dann in Berkeley und schließlich in San Francisco – hatten ihr nichts gegeben. Ein Auftritt wirkt persönlich, aber Kathryn Dance hatte herausgefunden, dass es dabei eher um das Verhältnis zur eigenen Musik als
um eine Beziehung zum Publikum ging. Sie selbst war viel neugieriger darauf, was andere Leute über sich, das Leben und die Liebe zu sagen und zu singen hatten. Ihr wurde klar, dass sie auf dem Gebiet der Musik, genau wie in ihrem Beruf, lieber eine professionelle Zuhörerin war.
    »Ich hab’s versucht«, antwortete sie. »Aber am Ende hielt ich es für besser, zur Musik ein rein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen.«
    »Also sind Sie stattdessen Polizistin geworden. Eine Wendung um ungefähr hundertachtzig Grad.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Wie ist es dazu gekommen?«
    Dance überlegte. Normalerweise sprach sie nicht gern über sich (Hör vor allem zu, rede zuletzt), aber sie fühlte sich Rhyme verbunden. In gewisser Weise waren sie Konkurrenten – forensische Wissenschaft gegen Kinesik -, doch es einte sie ein gemeinsames Ziel. Außerdem erinnerten seine Tatkraft und seine Hartnäckigkeit sie an sich selbst. Seine eindeutige Freude an der Jagd ebenfalls.
    Also sagte sie: »Jonny Ray Hanson... Jonny ohne h .«
    »Ein Täter?«
    Sie nickte und erzählte ihm die Geschichte. Sechs Jahre zuvor war Dance als Beraterin der Staatsanwaltschaft angeheuert worden, um bei der Auswahl einer Jury behilflich zu sein. Es ging um den Fall Kalifornien gegen Hanson.
    Hanson war ein fünfunddreißigjähriger Versicherungsvertreter und wohnte nördlich von Oakland in Contra Costa County, eine halbe Stunde vom Haus seiner Exfrau entfernt, die gegen ihn ein Unterlassungsurteil erwirkt hatte. Eines Nachts versuchte

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