Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Joro hoch und schleppten ihn hinaus, zwei andere nahmen Chavasse in die Mitte, und der Unteroffizier beschloß den kleinen Zug.
Durch eine Tür traten sie in den kalten Regen hinaus. Auf dem Hof wehte ein eisiger Wind, der die dunklen Wolkentürme am Himmel zusammenschob – ein grauer, trister Morgen.
Hauptmann Tsen stand mit dem sechsköpfigen Exekutions
kommando mitten auf dem Hof und wartete, daß der Unteroffizier seinen Teil der Aufgabe möglichst rasch erledig te. Vor der gegenüberliegenden Wand hatten sie im Abstand von zehn Schritten zwei starke Pfähle in den Boden getrieben. Der bewußtlose Joro wurde an den einen Pfahl gebunden, Chavasse an den zweiten. Er verspürte weder Furcht noch Todesangst. Er spürte nicht einmal, wie ihm die Fesseln ins Fleisch schnitten.
Als die Vorbereitungen beendet waren, traten die Soldaten zurück und stellten sich neben ihrem Unteroffizier an der Seite
des Hofes auf. Alle warteten.
Oberst Li erschien auf den Stufen des Haupteingangs. Er trug die Parademütze und weiße Handschuhe und sah sehr korrekt aus. Hauptmann Tsen wandte sich ihm zu und salutierte.
Ganz langsam schritt Li die Stufen herunter. Nur wenige Schritte von Chavasse entfernt blieb er stehen, kreuzte die Arme auf dem Rücken und blickte ihm direkt ins Gesicht. Dann klappte er kurz die Hacken zusammen, grüßte und drehte sich um.
Tsen bellte einen Befehl. Die sechs Schützen des Todeskom mandos traten vor und legten die Gewehre an. Chavasse hatte den Eindruck, das alles durch das falsche Ende eines Fernrohrs zu sehen. Auch alle Laute kamen aus unendlicher Ferne. Er sah, wie Tsen die Hand hob und sie fallen ließ. Da schloß er die Augen. Die Salve rollte über die Flachdächer der Stadt und verebbte im Regen. Chavasse wartete auf den Tod, doch der kam nicht zu ihm.
In der Stille, die ihn einhüllte, hörte er rasche Schritte und öffnete die Augen. Joros geschundener Körper hing schlaff in den Fesseln. Vor ihm stand Oberst Li und betrachtete ihn völlig unbeteiligt.
Chavasse starrte ihn verständnislos an. Sein Gehirn war wie gelähmt, es weigerte sich, irgend etwas zu begreifen. Wieder bellte Tsen einen knappen Befehl. Vier Soldaten stürzten auf Chavasse zu und banden ihn los.
Chavasse schaute zu dem armseligen, blutenden Bündel hin über, das einmal Joro gewesen war. Da trat Li mit unbewegtem Gesicht vor. »Gut so Paul, sehen Sie ihn sich ganz genau an«, sagte er. »Sie sind daran schuld, daß dieser arme, unwissende Tor so an dem Pfahl hängt! Sie haben ihn in diese Lage ge bracht, kein anderer!«
Die Fesseln fielen. Jetzt machte sich die Reaktion der über reizten Nerven bemerkbar. Chavasse begann zu zittern.
»Warum?« ächzte er. »Warum?«
Oberst Li steckte sehr sorgfältig eine Zigarette in seine Jade spitze. In aller Ruhe ließ er sich von dem Unteroffizier Feuer reichen. Er blies den Rauch in die Luft und lächelte ein wenig. »Mein lieber Freund, Sie dachten doch nicht etwa, daß wir mit Ihnen schon fertig sind?«
Ein schrecklicher Schrei der Verzweiflung brach aus ihm hervor. Chavasse warf sich auf den Oberst, seine ausgestreck ten Finger suchten den Hals über dem steifen Uniformkragen.
Er schaffte es nicht. Ein Faustschlag traf ihn von hinten ins Genick, er stolperte über ein vorgestrecktes Bein und prallte aufs Pflaster.
12
Ein Licht schwebte bis dicht an ihn heran und entfernte sich wieder. Immer wieder kam dieses Licht und irritierte Chavasse. Alles in seinem Kopf drehte sich. Es kostete ihn eine ungeheu re Anstrengung, die Lider zu öffnen.
Als er schließlich doch zu sich kam, fand er sich in einem weißen Bett, allein in einem kleinen, weißen Zimmer, in dem alles unverkennbar nach Sauberkeit, Hygiene und Krankenhaus roch.
Eine angenehme Halbdämmerung herrschte im Zimmer. Auf dem Schränkchen neben dem Bett stand eine verhüllte Lampe. In ihrem Lichtkreis saß eine junge chinesische Krankenschwe ster. Sie las in einem Buch, ließ es aber sinken, als Chavasse sich regte.
Leise huschte sie zur Tür, öffnete sie und sagte zu jemandem auf dem Flur: »Holen Sie den Doktor!« Dann schloß sie die Tür wieder.
Chavasse lächelte schwach. »Ich bin also immer noch im Reich der Lebenden? Muß schon sagen – das Leben ist voller Überraschungen!«
Sie legte ihm ihre kühle, sanfte Hand auf die Stirn. Die Be rührung war so angenehm, daß er seufzend die Augen schloß. »Ruhen Sie sich aus«, sagte sie leise.
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