Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
fluchend nach ihnen. Ein paar zerlumpte, unterernährte Kinder begleiteten sie ins Dorf.
Selten zuvor hatte Chavasse einen erbärmlicheren Anblick erlebt als diese heruntergekommenen Hütten, die sich um den großen Marktplatz gruppierten. Er schleppte sich am Schluß des Trupps dahin, Hunde schnappten nach seinen Beinen, Kinder rannten neben ihm her und schrien aufgeregt. In der Mitte des Platzes erhob sich ein steinernes Podest. Hier wartete der Dorfhauptmann mit den Ältesten. Oberst Li zügelte neben den alten Männern sein Pferd und wartete, bis die Soldaten durch die schlammigen Straßen geprescht waren und alle Dorfbewohner auf dem freien Platz zusammengetrieben hatten. Sie brauchten dazu kaum zehn Minuten. Dann drängten sich etwa hundertfünfzig Leute um das steinerne Podest.
Auf ein Zeichen des Obersts schoben die Soldaten Chavasse vor und stießen ihn auf das Podest hinauf.
Er stand da und blickte über das Gewoge von fremden, apa thischen Gesichtern hinweg auf die Soldaten, die sich im Hintergrund hielten. Was haben sie jetzt wieder vor? dachte er.
Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Mit erhobener Hand gebot Oberst Li Schweigen.
»Leute von Sela!« rief er laut. »Ich habe euch schon oft von den fremden Teufeln erzählt, die unsere Feinde sind. Die Männer aus der westlichen Welt, die uns nur Böses wollen. Heute bringe ich euch einen von diesen Teufeln, damit ihr ihn mit eigenen Augen betrachten könnt.«
Eine geringe Bewegung entstand unter der Menge, aber sonst ließ sich kaum ein Anzeichen von Interesse erkennen.
»Ich könnte euch von diesem Mann viele böse Dinge berich
ten«, fuhr der Oberst fort. »Ich könnte euch erzählen, daß er Landsleute von euch ermordet hat, daß er euch allen nur Unheil bringt. Aber ein Verbrechen, das er begangen hat, ist nieder trächtiger und teuflischer als alle anderen zusammengenom men.«
Sofort trat absolute Stille ein.
Langsam fuhr Li fort: »Dieser Mann ist einer von denen, die bei der Entführung des Dalai-Lama mitgeholfen haben! Er hat euren lebenden Gott mit Gewalt nach Indien verschleppt, wo er jetzt gefangengehalten wird!«
Ein Schrei stieg aus den hintersten Reihen auf; andere Stim men fielen ein, und plötzlich drängten sich alle nach vorn. Ein Stein sauste durch die Luft. Chavasse wich ihm aus, doch ein zweiter Stein traf ihn über dem Auge und riß eine blutende Wunde.
Sie formten Wurfgeschosse aus dem Lehm und Dreck der Straße und schleuderten sie nach seinem Kopf. Innerhalb weniger Minuten war Chavasse von Kopf bis Fuß verschmiert.
Oberst Li hatte sein Pferd ein Stück zurückgetrieben, um den Leuten Platz zu machen. Jetzt rief er laut: »Welche Strafe hat ein solches Ungeheuer verdient?«
»Tötet ihn! Tötet ihn!« brüllte die aufgebrachte Menge.
Chavasse trat verzweifelt nach einer Hand, die sein Bein umklammern wollte. Viele Finger krallten sich in den Saum der Shuba. Einer der Männer erwischte die Leine, die an seinen Handfesseln befestigt war. Ein harter Ruck – er stürzte kopf über mitten in die Meute hinein.
Sein Gesicht wurde in den Schlamm gepreßt. Ringsumher ragte ein Wald von Beinen auf. Todesangst befiel ihn und erstickte ihn beinahe. Er schlug und trat blindlings um sich, bis er plötzlich Luft bekam. Einige Reiter jagten die Menge aus einander. Mühsam raffte er sich auf und starrte auf den dichten Kreis, der sich um ihn gebildet hatte. Abgrundtiefer Haß blitzte ihm aus den brennenden Augen der schweigenden Menschen entgegen.
Da trieb Oberst Li sein Pferd in die Mitte des Kreises. »Nein, Genossen!« rief er. »Der Tod wäre für ihn ein zu leichter Ausweg! Wir müssen ihn umkrempeln. Einen von uns aus ihm machen. Er muß genau wie wir denken. Stimmt ihr mir zu?«
Aus der Menge stieg nur ein dumpfes Gemurmel auf. Li nickte kurz. Die Reiter trieben die Versammlung auseinander. Er lächelte auf Chavasse herab. »Sehen Sie, Paul? Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte man Sie auf der Stelle umgebracht. Sehen Sie immer noch nicht ein, daß ich trotz allem Ihr Freund bin?«
Chavasse starrte ihn mit brennendem Haß im Herzen an und brachte kein einziges Wort über die Lippen.
11
Halb gelähmt lag er im Dunkeln. Da schrillte irgendwo in seinem Kopf eine Glocke. Vor den geschlossenen Augen flackerte ein durchdringend rotes Licht. Er hatte das Gefühl, als lägen alle Nervenenden bloß, als träfen ihn tausend elektrische Schläge.
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