Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
Vom Netzwerk:
Magdalena war nicht vom heiligen Hieronymus zu unterscheiden, bis der Künstler die Schraffur einsetzte.
    Bain und Bridgette besuchten mich abwechselnd. Ich durfte das Haus nicht verlassen, damit ich nie mit einem von ihnen gesehen wurde.
    Nachdem ich die Karten gemeistert hatte, folgte die nächste Stufe: DVD s. Bridgette und Bain hatten Aufnahmen wichtiger Leute zusammengestellt, meist auf unglaublich langweilig aussehenden Partys in einem der drei Empfangsräume des Country Clubs – Goldrute, Heliotrop und Flieder – oder im Speisesaal des Golfclubs. Ich schaute sie mir abends an und löffelte dabei Eiscreme mit Karamellgeschmack (die mochte Aurora am liebsten).
    Ich aß krustenlose Sandwiches mit Mozzarella und reifen Tomaten (Aurora mochte keine
Krusten), während ich den Grundriss von Silverton House auswendig lernte, in dem sie gewohnt
hatte. Das Haus gehörte ihrer Großmutter, Althea Bridger Silverton [am Leben, 81  Jahre, Matriarchin der Familie, Vermögen
+ 60  Millionen]. Sie war Ros Vormund geworden, nachdem ihre Eltern
gestorben waren: Nellis Silverton [starb, als Aurora drei war, ein
Kletterunfall. Ro schlief, Frau sah den Sturz mit an, konnte aber nicht helfen, Vermögen 15  Millionen] und Sadie Silverton [starb, als
Aurora zwölf war, bei einem Bootsunfall. Zeigte nach dem Tod des Ehemanns Zeichen geistiger Labilität; verschwand sechs Monate lang mit Aurora, als diese zehn Jahre alt war. Vermögen geht an Aurora]. Dann war da noch die Haushälterin Maureen March [am Leben, 63  Jahre, liebt Aurora, spielt Videopoker, Vermögen 76 000 ], die praktisch als Familienmitglied galt.
    »Warum ist es so wichtig, was die Leute auf dem Konto haben?«, fragte ich Bain eines Tages.
    »Damit du weißt, wer sie sind«, erwiderte er, als ergäbe das irgendeinen Sinn.
    Ich aß süße Brötchen ohne Pekannüsse (Aurora mochte keine Nüsse), während ich im Geiste die Gänge und Flure von Silverton House abschritt, damit ich mich nicht verriet, wenn man mich irgendwohin schickte. »Großmutter ist ganz schön gewieft«, sagte Bridgette. »Sie wird dir glauben wollen, aber auch auf jedes noch so kleine Anzeichen achten.«
    Ich aß mit Käse überbackenes Popcorn, während ich die Fotos auf dem Klavier betrachtete. Auf vielen davon demonstrierten Bain und Bridgette, dass sie für jede Sportart von Golf bis Segeln die passende Kleidung besaßen. Manchmal waren nur die beiden zu sehen, dann wieder auch mit ihren Eltern Bridger und Genette. Ich stopfte mich förmlich voll mit Fakten über Aurora, ihre Familie, ihre Lieblingsgerichte, doch was ich wirklich haben wollte – wonach ich förmlich hungerte –, war ein Foto von ihr.
    Es gab keins. Nicht ein einziges.
    Ich kehrte immer wieder zu dem Bild zurück, das mich am ersten Abend gefesselt hatte. Ich dachte unwillkürlich, dass irgendetwas darauf versteckt sein müsste, eine Botschaft oder ein Hinweis. Als ich eines Nachmittags gerade einen Tofu-Mais-Hotdog aß (unglücklicherweise hatte Aurora sich kurz vor ihrem Verschwinden entschlossen, Vegetarierin zu werden; das würde ich bald ändern), wurde mir klar, was daran nicht stimmte. Es war das einzige Foto mit einem Passepartout. Und falls ich mich nicht irrte, diente das Passepartout dazu, etwas – oder jemanden – zu verbergen. Der Rahmen lag mit dem Foto nach unten auf meinem Schoß, und ich versuchte gerade, die Rückwand zu entfernen, als Bridgette hereinkam.
    »Was machst du da?«, fragte sie und ließ beinahe die Einkaufstüten fallen.
    »Ich wollte sehen, wer sonst noch drauf ist.«
    Sie entriss mir das Bild und stellte es wieder aufs Klavier. »Wie kommst du darauf, dass sonst noch jemand darauf sein könnte?«
    »Neben Althea ist eine Schuhspitze zu erkennen. Und dein Vater«, ich deutete auf den Mann im Polohemd, »schaut in diese Richtung. Wer steht dort? Aurora?«
    Bridgette ließ eine Hand auf dem Foto und betrachtete es. Dann nickte sie mit dem Rücken zu mir. »Das Bild wurde am Wochenende gemacht, bevor sie verschwand. Im Club fand ein Tennisturnier statt, und …« Sie schüttelte den Kopf.
    »Warum habt ihr sie verdeckt? Und warum gibt es keine Bilder von ihr?«
    »Nachdem sie verschwunden war, belastete es uns alle, sie auf Fotos zu sehen. Daher haben wir sie entfernt. Warum interessiert dich das so?«
    »Ich wollte wissen, wie sie ausgesehen hat.«
    Bridgette drehte sich zu mir um. »Sie sah aus wie du. Genau. Wie. Du.« Bei jedem Wort machte sie einen Schritt auf mich zu. Ihre

Weitere Kostenlose Bücher