Geisterblumen
sie mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen. Sie musterte mich. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Motorradstiefel und Blümchen zu kombinieren. Sieht ein bisschen nach ungezogener Oma aus. Das kann sich nicht jede leisten.«
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand, dass sie auf das Muster meiner Unterhose anspielte. Ich entdeckte die schwarze Wildledershorts, die zu der silbernen Bluse gehörte, und zog sie an.
»Tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe«, sagte sie und schlug die Beine übereinander. »Ich wusste nicht, wie wir uns sonst heimlich treffen sollten.«
Ich mochte es nicht, wenn Leute mich in Unterwäsche sahen. Dann kam ich mir komisch und benachteiligt vor. Daher sagte ich so unfreundlich wie möglich: »Und was war so wichtig?«
Falls sie meinen Ton bemerkte, ignorierte sie ihn. Sie lachte genau zweieinhalb Sekunden lang. Dann wurde sie wieder geschäftsmäßig. »Wir haben nicht viel Zeit, daher komme ich direkt zur Sache.« Beim Sprechen tippte sie auf ihrem Smartphone herum.
»Falls es um gestern Abend geht …«
»In der Tat. Weißt du, wie viele Hits wir haben?« Sie setzte sich aufrecht hin und hielt mir ihr Smartphone vor die Nase. Der Bildschirm zeigte ein Video auf YouTube, das 10 093 -mal aufgerufen worden war. »Bei dem Tempo sind wir heute Abend bei über Zwanzigtausend. Das ist gut. Nein, ich will dich nicht anlügen – das ist irre. Okay, es ist nicht ›Rückfälliger Promi schmeißt Möbel in Pool‹, aber ein ›Kätzchenkampf‹ ist auch nicht so übel.«
»Wovon redest du?«
Sie stand auf, hakte mich unter und führte mich aus der Umkleidekabine zum Bogen, der in den Verkaufsraum führte. Dann streckte sie den Arm aus. »Siehst du?« Ich folgte ihrer smaragdgrün lackierten Fingerspitze und entdeckte zwei Typen, die auf einer gepolsterten Bank saßen. Einer von ihnen trug auffällige Kopfhörer im Retro-Look auf kurzem, schwarzem Haar, lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und klopfte mit dem Fuß im Rhythmus der Musik. Der andere hatte braunes Haar, das einen Schnitt vertragen könnte, und eine Schildpattbrille. Er saß vorgebeugt da und las ein Buch.
»Wirst du von irgendwelchen Gammlern gestalkt? Sollen wir den Sicherheitsdienst rufen?«
»Gammler, Stalker, wie süß«, sagte Coralee und tippte etwas in ihr Smartphone. »Nein, das ist mein Kamerateam. Heute benutzen sie die diskrete Ausrüstung. Das Smartphone ist ein Mikrophon, und im Buch ist eine Kamera versteckt. Sie folgen mir überallhin, um Material für die Webserie zu sammeln.«
»Webserie?«
Ich wollte wieder hinausschauen, aber sie hielt mich zurück. »Nicht so weit. Sie filmen, und ich will nicht, dass sie dich drauf haben.«
»Warum filmen sie überhaupt, wenn du noch hier drinnen bist?«
»Sie wollen den richtigen Moment abpassen, in dem ich rauskomme. Oder falls du und ich mitten im Laden einen Riesenstreit bekommen. Das ist eins meiner wichtigsten Versprechen an die Zuschauer: Nichts ist inszeniert. Jeder Take wie aus dem Leben. Cool, oder?«
»Nein.«
Sie lächelte. »Ich liebe deine Energie. Darum bin ich hier. Lass uns reden.«
Sie manövrierte mich zurück zur Umkleidekabine und hielt den Vorhang auf, als wäre es ihr Büro.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie, »wir waren früher keine Freundinnen; wir waren sogar ziemlich verfeindet. Warum also sollte sich Coralee Gold plötzlich für dich interessieren?«
Da ich nur eine sehr schwache Vorstellung von unserer Vorgeschichte hatte, nickte ich bloß und murmelte etwas Unverständliches.
»Aber wenn du darüber nachdenkst, ergibt es durchaus einen Sinn. Ich möchte investigative Journalistin werden«, erklärte sie und inspizierte die Outfits, die Bridgette ausgesucht hatte. Sie deutete mit einem Kleiderbügel in meine Richtung. »Probier das mal an. Jedenfalls ist es heute nicht so einfach, in den investigativen Journalismus reinzukommen; man braucht schon das gewisse Etwas.«
Was sie mir gegeben hatte, war ein ponchoartiger gelber Pullover, der wie ein Lineal gemustert war. Ich würde darin aussehen, als ginge ich zum Lehrer-Rodeo.
»Nein, nicht so«, schimpfte Coralee, stand auf und zupfte ihn zurecht, so dass eine
Schulter frei blieb. »Besser. Also, ich mache es wie Paris Hilton – nur verdient meine Familie an Haushaltswaren statt an Hotels. Eine ganz neue Richtung für unser Unternehmen GoldWert. Perfekt, was? Sagt jedenfalls Blaze White, mein PR -Mann. Ja, genau
der
Blaze White, die Legende. Ich sag
Weitere Kostenlose Bücher