Geisterflut
Drogen, die sie intus hatte, kaum noch klar hätte denken können, hätte sie sich auf ihre Hände gesetzt, um es zu verhindern. Doch sie war nun mal in diesem Zustand, und außerdem stinkwütend und wollte unbedingt weg, und so kam es, dass sie ausholte und ihm eine schallende Ohrfeige verpasste.
Der Schmerz schoss ihr den ganzen Arm hinauf. Sie hatte mit der rechten Hand zugeschlagen und mit der Wunde auf der Handfläche die Kante seines Unterkiefers getroffen.
Eine Sekunde lang war es still, entsetzlich still, und dann schlug er zurück.
Sie sah, wie sich sein Mund vor Wut verzerrte und sich seine Hand wie in Zeitlupe bewegte. Sie versuchte noch auszuweichen, dennoch traf er sie auf die Nase, und ihr platzte vor Schmerz schier der Kopf. Ihr verschwamm die Sicht, ihr stockte der Atem. Irgendetwas tröpfelte hinten im Rachen herab, und sie hatte den schrecklichen Verdacht, dass es ihr eigenes Blut war.
»Chess«, hörte sie ihn keuchen. »Oh, Mann, Chess, das tut mir leid. Ich bin völlig übermüdet, weißt du. Das wollte ich nicht. Ich -«
Er streckte ihr eine Hand entgegen, doch sie stieß die Tür auf, ehe er sie noch einmal berühren konnte. Der grobkörnige Asphalt brannte ihr unter den Händen, und Wasser drang durch die Jeans, als sie auf dem Boden landete, aber das war ihr nun egal. Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie los, und seine Stimme hallte auf der verlassenen Straße hinter ihr her. Er rief nach ihr, folgte ihr aber nicht.
Ihr tat die Nase weh. Das ganze Gesicht tat ihr weh, als hätte sie eine Schaufel vor den Kopf bekommen. Ihre Augen fühlten sich irgendwie schwer und prall an, so als würden sie bei der leisesten Berührung platzen.
»Morgen, Tülpi!«, sagte Lex vom anderen Ende des Zimmers her. »Wie fühlst du dich?«
Stöhnend wandte sie sich ab. Bilder aus der Nacht zuvor schossen ihr ins Bewusstsein. Doyle. Doyles Faust. Ihre Gewissheit, dass er in die Sache verwickelt war. Terrible ... Oh Mann, Terrible. Was hatte sie bloß getan? Wie sollte sie ihm nach dieser Sache jemals wieder unter die Augen treten?
Immerhin hatte sie geschlafen. Es mochte ja eher ein drogeninduziertes Koma gewesen sein, aber immerhin dachte sie nun klarer als seit etlichen Tagen und fühlte sich körperlich nicht allzu mies, von dem pochenden Schmerz in ihrer Nase mal abgesehen.
»Ja, das hab ich mir schon gedacht. Der Junge hat dir ganz schön eine reingesemmelt, was? Was hattest du ihm denn getan? Seine Mutter beleidigt?«
Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie die Worte durch ihre staubtrockene Kehle hervorgepresst hatte. »Hab ihn geohrfeigt. Hab ich dir das heut Nacht nicht erzählt?«
»Du hast heut Nacht kaum einen sinnvollen Satz gesagt. Irgendwas über einen Typ namens Boil, eine Kneipe und einen schnellen Fick. Ich dachte erst, du wolltest mir damit was suggerieren, aber mit dem ganzen Blut und so warst du nicht in der Verfassung. Du sahst aus, als hätte dich der Tod wieder ausgekotzt.«
»Danke.« Sie öffnete unter Mühen ein Auge und sah ihn vor dem Bett stehen mit einem großen Glas Wasser in der Hand.
Er zuckte mit den Achseln. »War nicht unbedingt einer deiner besten Momente. Nehm ich dir nicht übel.«
Die weiche Bettwäsche glitt über ihre nackte Haut - wo war denn ihre Jeans? -, als sie sich ein wenig aufrichtete und eine Hand ausstreckte. Lex legte zwei Pillen hinein und signalisierte ihr, mit der anderen Hand das Wasserglas zu nehmen.
Das Wasser war kalt und frisch, und nach dem ersten Schluck erwachte sie allmählich wieder zum Leben. Sie legte sich die Cepts auf die Zunge und spülte sie mit dem restlichen Wasser hinunter, wobei sie nach jedem Schluck wie ein kleines Kind nach Luft schnappte. Ihre Nase war zum Atmen zu verstopft.
»Nicht Boil«, sagte sie. »Doyle. Ein Kollege von mir. Er ist ... Ich glaube, er ist einer von ihnen. Einer der Typen, die das Ritual in Chester vollzogen und das Amulett hergestellt haben. Und außerdem habe ich auch rausgefunden, was das Amulett zu bedeuten hat. Es ist ... Sie haben einen Traumdieb herbeibeschworen. Einen sehr mächtigen Geist. Einen Geist, der gewissermaßen aus Teilen anderer Geister besteht, wenn du verstehst, was ich meine. Kein einfaches Wesen, sondern ein komplexes. Sehr stark. Und sehr unangenehm.«
»Warst du deswegen heute Nacht in meinen Tunneln?«
Ihr klappte die Kinnlade herunter. »Ich ...«
»Keine Angst, ich frage nur. Big Shog hat mir erzählt, dass er dich gesehen hat, wie du versucht hast, da
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