Geisterhauch (German Edition)
»möchten Sie Kaffee?«
Amador nickte bekräftigend. »Wir müssten sowieso in einer Stunde aufstehen.«
»Wenn das so ist …«
Als würde man einem Esel eine Karotte vors Maul binden. Wir setzten uns in die Küche und unterhielten uns eine Stunde lang über Reyes: wie er während der Highschool-Zeit gewesen war, wie seine Hoffnungen und Träume ausgesehen hatten. Und – ich war völlig baff – alle drehten sich um mich. Amador wusste nicht viel über Earl Walker, weil Reyes nicht über ihn hatte reden wollen, sagte aber ausdrücklich, dass Reyes niemanden umgebracht hatte, auch nicht Earl. Ich wollte das so gerne glauben.
Irgendwann kamen wir auf die Fanseiten zu sprechen. Ich erzählte von dem Besuch bei Elaine Oake. Bianca fing an zu kichern und warf Amador fragende Blicke zu.
»Sag es ihr«, forderte er sie lächelnd auf.
»Ich hatte natürlich gar kein Kapital, als Reyes sich mit den Börsenkursen befasste«, begann sie. »Darum sagte er, ich solle diese Frau anrufen, die so heiß darauf war, ihn im Gefängnis zu besuchen, und die die Wärter bestach, um alles Mögliche über ihn zu erfahren. Und das tat ich. Ich erzählte ihr, mein Mann sei sein Zellengenosse und ich könne ihr alles besorgen, was sie will. Sie kaufte jedes Fitzelchen Informationen. Im Ernst. Wir wussten irgendwann nicht mehr, was wir noch erzählen sollten.« Sie lachte laut. »Auf diese Weise habe ich die tausend Dollar Startkapital zusammenbekommen.«
»So ist das gewesen?« Ich fiel unwillkürlich in ihr Lachen ein.
»Ja, natürlich war das lauter belangloses Zeug, nichts, was ihm irgendwann mal schaden könnte. Ab und zu nannte Reyes mir etwas Bedeutendes, mit dem ich sie füttern sollte, um sie bei der Stange zu halten. Doch es gab ein paar Dinge, die über die Wärter gegen seinen Willen nach draußen sickerten. Manchmal konnten wir uns nicht erklären, wie sie an die Information gekommen waren.«
»Zum Beispiel die über seine Schwester?«
Biancas Gesicht verdüsterte sich. »Ja. Wir haben keine Ahnung, wie das jemand herausfinden konnte.«
»Reyes hat nie über sie gesprochen«, erklärte Amador.
Ich war mir sicher, dass die U. S. Marshals durch eine der Webseiten von Kim erfahren hatten. Aber Amador hatte recht: Reyes war unglaublich clever. Nicht, dass mir das nicht schon klar gewesen wäre, aber … Moment mal. Ich sah ihn vorsichtig an. »Was ist mit den Fotos von ihm unter der Dusche?«
»Was glauben Sie, woher wir die Anzahlung für das Haus hatten?«
Mir fiel die Kinnlade runter. »Wusste Reyes davon?«
Er lachte laut. »Es war seine Idee. Er wusste, dass sie dafür ein paar große Scheine rausrücken würde, und er wollte uns dieses Haus ermöglichen.«
Ich war sprachlos. Er hatte das alles für seine Freunde getan. Und dabei wollte er mich glauben lassen, dass er unschuldigen Leuten etwas antun konnte? Das bezweifelte ich mehr denn je. Aber was, wenn er starb? Würde er dann wirklich seine Menschlichkeit verlieren? War das möglich?
Ich hatte gehofft, durch unsere Unterhaltung einen Hinweis auf Reyes’ Versteck aufzuschnappen, der Sanchez’ bisher selbst noch nicht aufgegangen war, doch mir drängte sich nichts auf. Ich gab ihnen meine Karte und stand auf. Amador ging duschen, während Bianca mich zur Tür brachte.
»Also, was hat er über mich gesagt?«, fragte ich sie.
Sie kicherte und schüttelte den Kopf.
»Jetzt mal im Ernst, hat er meinen Hintern erwähnt?«
Als ich die Treppe zu meiner Wohnung hinaufstieg, hatte ich den Kopf voll mit Reyes und das Herz voller Hoffnung. Woher die Hoffnung kam, war mir nicht klar. Aber zu wissen, dass er noch am Leben war, hob meine Laune beträchtlich. Mir war nie aufgefallen, dass ich seinen Herzschlag hören konnte, aber wenn ich zurückdachte, hatte ich ihn immer gehört, meistens im Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen, wenn undeutliche Träume durch mein Bewusstsein drifteten. Dann lullte mich sein Herzschlag wieder in den Schlaf.
Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte ich Mrs Allen über den Flur rufen.
»Charley?« Ihre Stimme war schwach.
Herr der Ringe! Was war jetzt wieder? Mrs Allen redete eigentlich nur mit mir, wenn ihr Pudel PP weggelaufen war und sie einen Privatdetektiv brauchte, um ihn wiederzufinden. Prinz Philipp war eine Landplage, wenn Sie mich fragen. Ich hegte den starken Verdacht, dass der Erfinder des Pudels seine Seele dem Teufel verkauft hatte. Was soll man sonst von Pudeln halten?
Ich drehte mich nach ihr um.
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