Geisterjagd
glauben Sie allen Ernstes, ich hätte die Zeit, mich mit so was zu befassen?«
»Nein, natürlich nicht; Sie haben auch keine Lust dazu, dessen bin ich mir sicher, aber vielleicht geraten Sie doch in Versuchung, nachdem Sie sich die Waffensysteme angeschaut haben.«
Auf dieses Stichwort hin begann eine Komponente des schwebenden Abbilds in einem hellen Orange zu glühen, dann leuchtete eine andere in Rot auf. Beide Systeme waren mit der Außenwand des Schiffs verbunden, doch der größte Teil von ihnen lag versteckt unter der Hülle.
Während jede Sektion leuchtete, erschien ein vergrößerter Ausschnitt neben der vollen Darstellung und zeigte mehr Details.
»Woher stammen diese Bilder?«, erkundigte sich Kethi und ließ den Blick über den Bildausschnitt wandern.
»Sie werden überrascht sein. Unser kleiner Pirat ist keineswegs schüchtern, wenn es darum geht, seine Trümpfe zur Schau zu stellen. Das hier durchläuft sämtliche Medienströme. Es war ein Kinderspiel, es sich zu verschaffen.«
Kethi sah genauer hin, als noch eine Phalanx aufleuchtete. Etwas an diesen Komponenten kam ihr beängstigend vertraut vor. Plötzlich fiel es ihr wieder ein. »Meine Güte!« Ein eiskalter Schauer durchlief sie.
»Erkennen Sie das Schiff wieder?«
Selbstverständlich erkannte sie es – wie er sehr wohl wusste!
Tief in ihrem Inneren hatte sie immer gehofft, dass nichts dergleichen jemals eintreten würde, dass nie wieder jemand diesen Typ von Phalangen zu Gesicht bekam; jedenfalls nicht, solange sie lebte. Sie spürte, wie die Angst in ihr hochkroch. Auf dieses Ereignis hatte sie sich vorbereitet, fast von Geburt an; für diese Konfrontation war das gesamte Habitat ausgelegt. Doch jetzt, wo es tatsächlich passierte, fühlte sie sich alles andere als bereit. Ein paar Sekunden lang, in denen sie sich wie betäubt vorkam, war sie dankbar, auf ihr Training zurückgreifen zu können; sie funktionierte wie auf Autopilot und öffnete die Einspielung, sodass Zahlen und Gleichungen hereinströmten, anhand derer sie die Information eingehender studieren konnte. Die rohen Daten spulten sich über ihren Linsen ab, während eine Sequenz aus weiteren Elementen innerhalb des Schiffs in unterschiedlichen Farben erstrahlte. Der gewohnte Fluss an Informationen bot ihr den Halt, den sie brauchte, und es gelang ihr, ihre aufgewühlten Emotionen wieder einzudämmen.
In einem gesonderten Teil ihres Verstandes vergegenwärtigte sie sich, dass sie diesen Moment niemals vergessen konnte. Die Kethi, die in Kürze aus der Nabe herausspazieren würde, wäre eine völlig andere Kethi als die, welche in die Nabe hineinspaziert war; andere Erwartungen, andere Ambitionen.
Dasselbe galt für jeden Bewohner des Habitats, nachdem er das hier gesehen hatte, nicht nur für sie. Von nun an warteten sie nicht mehr darauf, dass etwas passierte -der Fall der Fälle war soeben eingetreten. Jetzt standen sie vor der viel heikleren Herausforderung, aktiv zu werden, etwas zu unternehmen.
Schließlich klangen die Benommenheit und die Furcht ab, und eine eigentümliche Ruhe breitete sich in ihr aus. »Na also«, verlautbarte sie, »es fängt an.« Sie merkte, dass Nyles sie aufmerksam beobachtete, deshalb ließ sie sich keinerlei Gemütsregung anmerken und war stolz darauf, wie gefasst ihre Stimme klang, als sie fragte: »Wann brechen wir auf?«
»In zwei Stunden.«
Zwei Stunden? Sie wusste, dass das Schiff ständig startklar gehalten wurde, und trotzdem … Aber sie nickte nur und erwiderte gelassen: »Wir sehen uns dann an Bord der The Rebellion.«
10
Emilio kannte das Leben, wusste, dass es so etwas wie »Fairness« nicht gab. Im Leben ging es nur darum, sich alles unter den Nagel zu reißen, was sich anbot, und das zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Die Leute, die zögerten und darauf warteten, dass sich ihnen eine »faire« Chance bot, wurden nicht alt. Emilio war da ganz anders geartet, immerhin hatte er es geschafft, bis ins Teenageralter vorzurücken.
Seine Leute mochten ihre Welt als Paraiso bezeichnen, aber das taten sie nur, weil sie gern etwas haben wollten, worüber sie lachen konnten; doch mit der Zeit hatte der Witz seine Pointe verloren. Frysworld war eine Jauchegrube; ein stinkender Sumpf aus menschlichem Elend, in dem die Verzweiflung beinahe schon greifbare Proportionen angenommen hatte. Ja, sicher, die Touristen bekamen das nicht zu sehen, aber die Einheimischen mussten damit leben. Man sah die Not, die ihre Gesichter gezeichnet hatte
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