Geisterlicht: Roman (German Edition)
endlich wieder aufgetaucht«, erklärte sie. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Das ist doch nicht deine Schuld. Ich sollte besser darauf aufpassen. Vielen Dank.« Die Tatsache, dass sie ihm den Stift zurückgebracht hatte, machte ihn noch kostbarer für ihn.
Sie wechselten noch ein paar belanglose Sätze, dann machte Fiona eine fahrige Handbewegung in Richtung Tür. »Ich muss jetzt gehen.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte Aidan sich besorgt.
»Ja. Sicher.« Sie klang nicht sonderlich überzeugend.
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann … Geht es Dawn nicht gut? Sie schien mir ganz munter, als sie das letzte Mal hier war. Hat sie inzwischen die Kräuter von der Insel eingenommen?«
»Ja. Alles bestens. Dawn geht es ausgezeichnet.«
Als Fiona ihn anschaute, meinte er, in ihren Augen Tränen funkeln zu sehen. »Warum weinst du denn dann?«, fragte er leise.
»Ich weine nicht. Das ist nur das helle Licht. Es blendet.« Sie wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und presste ihre Lippen auf seinen Mund.
Ihr Kuss war sehnsüchtig und leidenschaftlich. Plötzlich war alles wieder da. Die Nacht, in der er das Gefühl gehabt hatte, für immer mit ihr verschmelzen zu wollen. Die Einsamkeit der vergangenen Jahre, die sich selbst wie ein scharfer Eiskristall in sein Herz gebohrt hatte, als er mit Lea zusammen gewesen war und es ihm nicht gelang, ihre Nähe wirklich zuzulassen. Doch in jenen verzauberten Nachtstunden hatte er diesen Schmerz nicht gespürt. Alles war gut gewesen, weil er sie in seinen Armen gehalten hatte.
»Bleib bei mir«, flüsterte er an ihren Lippen – und erschrak sofort über seine eigenen Worte. »Wenigstens noch ein paar Minuten«, setzte er eilig hinzu.
»Ich kann nicht.« Sie schüttelte so heftig den Kopf, als müsste sie sich selbst von ihren Worten überzeugen. Eilig lief sie zur Tür. »Auf Wiedersehen, Aidan. Lebwohl.«
Nachdem sie fort war, starrte er irritiert auf die Stelle, wo sie eben noch gestanden hatte. Wieso nur hatte er das Gefühl, dass sie sich für lange Zeit, vielleicht für immer, von ihm verabschiedet hatte?
Er stemmte sich aus dem tiefen Sessel hoch, ignorierte das Schwindelgefühl, das in ihm aufstieg, und trat ans Fenster. Unten vor dem Tor parkte das kleine rote Auto. Es dauerte nicht lange, bis Fiona aus dem Gebäude trat. Sie blieb neben dem Wagen stehen und schaute eine Weile nachdenklich zum See hinunter. Dann stieg sie in den Wagen und fuhr los.
Aidan schaute ihr nach, solange er das Rot des Autos auf der Straße leuchten sah, dann ließ er sich mit einem Seufzer wieder in seinen Sessel fallen. Seit Fiona das Zimmer verlassen hatte, erschien es ihm kälter als vor ihrem kurzen Besuch – noch stiller und noch einsamer.
Fiona hatte von der Burg aus direkt zum Loch Sinclair gehen wollen, doch durch die Begegnung mit Aidan war ihr klargeworden, dass es noch andere Menschen gab, mit denen sie unbedingt reden musste. Vielleicht war heute die letzte Gelegenheit dazu, bevor sie das Wagnis unternahm, den Granatring aus dem See zu holen und damit den Fluch zu brechen, der auf Aidan lag.
Beim Einkaufen hatte sie im Nachbardorf eine Telefonzelle gesehen, und dorthin fuhr sie nun. Als sie den Telefonhörer in der Hand hielt, musste sie krampfhaft schlucken. Sie fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage sein würde, etwas hervorzubringen. Doch im fernen Deutschland schien das Klingelzeichen ungehört zu verhallen. Fast wollte sie schon auflegen, als sie plötzlich die Stimme ihres Vaters vernahm.
»Hier ist Fiona«, stieß sie atemlos hervor.
»Fiona!« Er klang gleichzeitig erschrocken, erfreut und ratlos. »Wie schön, dass du anrufst.«
»Ich wollte dir nur sagen …« Ihr Mund war trocken und ihre Stimme rau. Es fiel ihr schwer, mit ihm zu reden. Aber noch schwerer wäre es gewesen, das zu tun, was sie tun musste, ohne vorher mit ihm zu sprechen. So atmete sie tief durch und fing an:
»Ich finde es immer noch schrecklich, was du getan hast, aber trotzdem habe ich nicht vergessen, dass du mir all die Jahre ein guter Vater warst. Du hast dein Bestes gegeben. Deshalb …« Sie konnte nicht weiterreden und schaute durch die Glasscheibe der Telefonzelle hinaus auf die Hügel, Felsen und Weiden der Highlands, die sich ihr heute als besonders schönes Panorama präsentierten.
»Kannst du mir verzeihen, Fiona? Es tut mir schrecklich leid, was ich getan habe, aber ich hatte solche Angst, dich
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