Geisterlicht: Roman (German Edition)
Mutter. Klar und deutlich, so als stünde sie direkt neben ihr.
Hab Vertrauen, mein Kind. Dir wird nichts geschehen, wenn du an die Liebe glaubst.
Fiona spürte, dass Noreens Liebe sie umgab wie ein warmer, schützender Mantel. Da legte sie den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und machte einen Schritt nach vorn, ins Nichts.
Das Wasser war eiskalt und klar. Sie machte keinen Versuch, zu schwimmen, sondern ließ sich einfach sinken. Tiefer und tiefer ging es hinab, bis das Licht über ihr nur noch aus der Ferne durch das helle Blau des Wassers schimmerte. Einmal meinte sie, einen kleinen roten Punkt vor sich aufleuchten zu sehen. Sie streckte die Hände danach aus und wollte ihn einfangen, weil sie hoffte, Catrionas Granatring gefunden zu haben. Doch zwischen ihren Fingern war nur Wasser, in dem sich irgendetwas gespiegelt haben musste.
Plötzlich wurde Fiona bewusst, dass sie schon minutenlang unter Wasser war. Viel länger konnte der Sauerstoff in ihren Lungen nicht ausreichen. Panik stieg in ihr auf, sie schlug um sich und versuchte, wieder an die Wasseroberfläche zu schwimmen, doch ihre Arme und Beine waren schwer wie Blei und das Licht über ihr unendlich weit entfernt.
Da ergab sie sich ihrem Schicksal, wehrte sich nicht mehr gegen den Sog, der sie nach unten zog, und ließ geschehen, was geschehen musste.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Als Fiona langsam wieder zu sich kam, lag sie auf einem Bett aus Seegras. Um sie herum spielten bunte Fische im goldenen Licht der Sonnenstrahlen, die lange, schräge Bahnen ins Wasser malten.
Aber da oben regnet es doch. Und wieso bin ich nicht längst tot? Ich kann unter Wasser nicht atmen. Oder doch? Vielleicht bin ich schon im Jenseits?
Die Gedanken huschten durch ihren Kopf wie die spielenden Fische, die um sie herum durchs Wasser glitten. Alles wirkte seltsam und fremd, aber am meisten erstaunte Fiona, dass sie gar keine Angst verspürte.
Sie richtete sich auf und schaute sich neugierig um. Obwohl sie sich offenbar tief unter der Wasseroberfläche befand, war es erstaunlich hell. Und bunt. Nicht nur die Fische schillerten in allen Farben, auf dem Grund des Sees wuchsen auch herrlich blühende Pflanzen, zwischen denen bizarr geformte Korallen ihre leuchtend orangefarbenen Arme ausstreckten. Es war ein Märchenland. Ein Traum. Und selbst mitten in diesem Traum war Fiona klar, dass es in einem schottischen See eigentlich keine Korallen gab.
Vorsichtig stieß sie sich mit den Füßen vom Boden ab und schwamm zwischen den Fischen herum. Es war so leicht, sich hier unter Wasser zu bewegen. Als würde sie fliegen.
Ein kleiner dunkelblauer Fisch begleitete sie. Er beschrieb hübsche Kreise zwischen ihren Händen, als würde er mit ihr tanzen. Lächelnd schaute sie ihm dabei zu, wie er zierliche Pirouetten drehte und gleich darauf in einer weiten Acht um ihre Hände schwamm. Plötzlich sah sie in seinem Maul etwas rot und golden aufblitzen. Ein freudiger Schreck durchfuhr sie. War es tatsächlich der Granatring, den der blaue Fisch ihr da offenbarte?
Fiona streckte den Arm aus und hielt ihre geöffnete Handfläche nach oben. Als hätte der Fisch nur auf diese Geste gewartet, ließ er den Ring in ihre Hand fallen. Einen Goldring mit einem funkelnden Granat. Catrionas Ring!
Erstaunt betrachtete Fiona das Schmuckstück, fing einen der Sonnenstrahlen in dem roten geschliffenen Stein ein, bewunderte den Glanz und die feine Arbeit. Und meinte die Liebe zu spüren, mit der dieser Ring einst verschenkt, empfangen und getragen worden war.
Vorsichtig schob sie sich ihn auf den Finger. Er passte, als sei er nur für sie gemacht worden. Sie bewegte ihre Hand in dem Sonnenstrahl hin und her, der vor ihr eine schmale Straße ins Wasser zeichnete. Der Granat funkelte so stark, dass sie geblendet die Lider schloss.
Und plötzlich spürte sie einen starken Sog, der sie nach oben zog. Sie riss die Augen auf. Um sie herum wirbelten das Wasser und die bunten Farben wild wie in einem Kaleidoskop umher. Sie wollte atmen, konnte aber nicht. Ihre Lungen brannten vor Sauerstoffmangel, und sie wusste, der Tod war nicht mehr fern.
Keuchend und vollkommen durchnässt erreichte Aidan den Fuß des Felsens. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und starrte angestrengt hinaus auf den See, der das Grau des Regenhimmels widerspiegelte. Von Fiona war keine Spur zu entdecken. Weder ein Schimmer ihrer dunklen Haare noch eine Ahnung des roten Stoffs ihrer Jacke.
Der Gedanke, dass sie gerade unter
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