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Geisterlicht: Roman (German Edition)

Geisterlicht: Roman (German Edition)

Titel: Geisterlicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Winter
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die Gummistiefel, die neben der Hintertür standen, und trat hinaus in den Garten.
    »Lillybeth?«, rief sie fragend.
    Es rauschte über ihr in der Luft, und bevor sie zusammenzucken konnte, landete der Rabe auf ihrer Schulter. Er war für seine Größe erstaunlich leicht und hatte offenbar nicht die Absicht, ihr die Augen auszuhacken. Stattdessen krähte er ihr nur ganz leise, fast zärtlich, etwas ins Ohr.
    Jetzt beugte der Rabe namens Lillybeth, bei dem es sich wohl um eine Räbin handelte, sich nach vorn, um den Teller in Fionas Hand zu erreichen. Fiona hob ihren Arm ein wenig, und der Vogel nahm sich eine Weintraube.
    Nun stand sie ganz still da und sah entzückt zu, wie der Rabe gesittet ein Obststückchen nach dem anderen vom Teller pickte. Im Stillen hoffte sie, Lillybeth würde das blutige Fleischstück verschmähen.
    Das Beste hebe ich mir immer bis zum Schluss auf.
    Als sie die leise, heisere Stimme hörte, fuhr Fiona so heftig herum, dass die Räbin auf ihrer Schulter mit den Flügeln schlagen musste, um das Gleichgewicht zu halten.
    Fiona wusste, dass Raben kluge Vögel waren, denen man sogar das Sprechen beibringen konnte, doch sie war sich sicher, dass Lillybeth nicht gesprochen hatte. Sie hatte … gedacht. Und Fiona hatte die Gedanken des Vogels in ihrem Kopf gehört. Oder so ähnlich.
    Sie war immer noch völlig verdattert von dem, was soeben geschehen war, als auf einmal Aidan MacNaughton am Gartenzaun auftauchte.
    »Guten Morgen«, rief er fröhlich und winkte ihr mit einem so harmlosen Gesichtsausdruck zu, als hätte es den leidenschaftlichen Kuss gestern in der Küche nie gegeben.
    Lillybeth schnappte sich den Fleischbrocken, krächzte laut, erhob sich in die Luft und verschwand über dem Hausdach. Fiona erwiderte Aidans Gruß, indem sie mit dem leeren Teller in der Luft herumwedelte und gleichzeitig so neutral lächelte, wie sie nur konnte.
    »Darf ich?« Er deutete auf den niedrigen Gartenzaun, und als sie nickte, schwang er seine langen Beine über die Latten und stand im nächsten Moment neben ihr.
    »Das war ein sehr schönes Bild. Du und der Rabe. Ein bisschen hexenhaft, aber idyllisch.«
    Hexenhaft? Fiona schaute an sich hinunter, betrachtete ihr kurzes Flanellnachthemd, die Regenjacke, die sie darüber trug, und die Gummistiefel an ihren nackten Beinen. Dann legte sie die Stirn in Falten und sah Aidan fragend an. Schließlich war er es, der sein Auftauchen im Garten begründen musste, nicht sie.
    »Ich meine nur, weil Hexen auf den Bildern in Märchenbüchern manchmal einen schwarzen Vogel auf der Schulter haben«, fügte Aidan hastig hinzu. Sein Blick glitt nervös an ihrem Körper hinab, blieb an ihren nackten Knien über dem Rand der blauen Gummistiefel hängen und kehrte eilig wieder zu ihrem Gesicht zurück.
    »Und manchmal eine schwarze Katze«, ergänzte Fiona streng, und strich sich hastig ihr wahrscheinlich wirklich hexenhaft-wirres Haar aus der Stirn. Gleichzeitig bemühte sie sich, keinen Gedanken an ihr Äußeres zu verschwenden. Im Grunde war es nur gut, wenn sie möglichst abstoßend aussah. Dawn war in diesen Mann verliebt, das musste sie sich immer wieder sagen. Das seltsame Kribbeln in ihrem Bauch hing ohnehin nur damit zusammen, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte.
    »Tut mir leid, dass ich so früh am Morgen störe«, entschuldigte Aidan sich nun artig.
    »Kein Problem.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wie spät ist es eigentlich?«
    »Kurz nach zehn.« Er schaute nicht auf seine Armbanduhr, sondern sah sie unverwandt an. Seine Augen schienen seit gestern noch blauer und die Pünktchen darin noch goldener geworden zu sein.
    »Aha«, machte Fiona und widerstand der Versuchung, sich weitschweifig dafür zu entschuldigen, dass sie um diese Uhrzeit noch im Nachthemd im Garten herumstand. »Möchtest du telefonieren?«, erkundigte sie sich, als er ihr nach einer Minute immer noch stumm in die Augen sah. Erst als die Worte heraus waren, wurde ihr klar, dass sie ihn geduzt hatte. Was nach dem Kuss in der Küche eigentlich nur natürlich war. Sie würde sich auf keinen Fall korrigieren. Immerhin waren sie beide noch jung genug, um unnötige Förmlichkeiten wegzulassen.
    »Nein, danke.« Als würde es ihn einige Mühe kosten, riss er seinen Blick von ihrem Gesicht los und schaute hinauf zum Dachfirst, auf dem Lillybeth saß und fröhlich hin und her wippte. »Ich habe gestern etwas vergessen. Einen silbernen Kugelschreiber. Er ist nicht besonders wertvoll, aber ein

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