Geisterlicht: Roman (German Edition)
erkennen kann. Glaubst du, sie sieht so aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie gestorben ist?« Unwillkürlich senkte Fiona die Stimme zu einem Raunen.
»Ja«, beantwortete Dawn in normaler Lautstärke ihre geflüsterte Frage. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht friedlich in ihrem Bett gestorben ist. Dann würde sie jetzt nicht die ganze Zeit hier herumlaufen. Sie will , dass wir die Wahrheit über ihren Tod herausfinden und ihr irgendwie helfen.«
Plötzlich spürte Fiona großes Mitleid mit der stummen Gestalt in der Ecke. Und dieses Mitgefühl verdrängte ihre Angst. Catriona war mit ihr verwandt. Und sie war durch die Jahrhunderte zurückgekehrt, um ihre Familie um Hilfe zu bitten. Sie tat es stumm, doch sie tat es. Fiona war plötzlich ganz sicher, dass ihre Schwester Recht hatte.
Spontan stand sie auf und ging langsam auf die graue Gestalt zu. »Catriona?«, fragte sie leise und blieb drei Schritte von dem stetig hin- und herwippenden Schaukelstuhl entfernt stehen.
Die Gestalt schaute weiter starr geradeaus. Jedenfalls wandte sie Fiona ihr Gesicht nicht zu. Selbst aus der Nähe konnte Fiona ihre Züge nur verschwommen erkennen. Aber sie spürte die leidenschaftlichen Gefühle der stummen Frau. Den Schmerz, den Zorn und die Sehnsucht.
»Wie können wir dir helfen, Catriona?« Angespannt sah Fiona die Frau im Schaukelstuhl an. »Du musst mit uns reden, damit wir wissen, was wir tun sollen.«
Der Schaukelstuhl hörte auf, sich vor- und zurückzubewegen. Catriona stand auf und bewegte sich direkt auf Fiona zu. Die wollte zur Seite springen, doch das gelang ihr nicht mehr. Sie spürte, wie eine eisige Welle sie durchlief, als Catriona … durch sie hindurchging.
Zitternd wandte Fiona sich um und sah, wie die geisterhafte Erscheinung durch die offene Küchentür im Flur verschwand. Nur die Kälte war geblieben. Bebend umschlang sie ihren Oberkörper mit den Armen.
»Sie ist schrecklich traurig und wütend.« Fiona spürte, wie Tränen in ihre Augen stiegen. »Ich werde gleich morgen versuchen, etwas über ihr Leben und ihren Tod herauszufinden. Vielleicht gibt es Hinweise in alten Kirchenbüchern. Oder in Aidans Bibliothek. Wenn es in einigen seiner Bücher um die Geschichte Keltons geht, wird Catriona vielleicht darin erwähnt.«
»Morgen kann ich dich aber nicht zu Aidan begleiten. Wir haben nachmittags Konferenz in der Schule. Willst du nicht bis übermorgen warten? Zu zweit können wir die Bücher viel schneller durchsehen.« Dawn wirkte ziemlich unglücklich bei dem Gedanken, einen Besuch bei Aidan zu verpassen.
Fiona zögerte. Es drängte sie nicht danach, allein zu Aidan zu fahren. Aber ansonsten würden sie wertvolle Zeit verlieren.
»Ich fange morgen früh im Pfarramt mit der Suche nach Informationen an. Wenn ich dort rechtzeitig fertig werde, mache ich auf Sinclair Castle weiter – falls es Aidan passt und er zu Hause ist. Es wird ohnehin länger als ein paar Stunden dauern, diese riesige Bibliothek dort durchzuschauen. Das nächste Mal kannst du mir dann helfen.«
»Ja, meinst du?« In Dawns Augen blitzte Hoffnung auf.
»Es könnte Aidan allerdings stören, wenn wir tagelang in seinem Arbeitszimmer herumwühlen«, gab Fiona zu bedenken. »Vielleicht sollten wir lieber …«
»Er hat es angeboten, also ist es auch in Ordnung!«, unterbrach Dawn sie energisch. »Ich glaube außerdem nicht, dass meine Anwesenheit ihn stört. Mich würde er niemals stören, ganz gleich, was ich zu tun habe.«
Fiona unterdrückte einen Seufzer. Ihre kleine Schwester war derart in Aidan verliebt, dass sie manchmal den Sinn für die Realität zu verlieren schien. Wie würde Dawn reagieren, falls sich herausstellte, das Aidan nicht mehr als eine nette Nachbarin in ihr sah? In einem Eckchen von Fionas Gehirn tauchte der Gedanke auf, dass es in diesem Fall vielleicht gar nicht so schlimm war, wenn sie den Kuss in der Küche nicht vergessen konnte. Doch sie verdrängte das Bild in ihrem Kopf rasch wieder. Nur das Kribbeln auf ihren Lippen war immer noch da und ließ sich nicht vertreiben. »Wir werden sehen«, bemerkte sie vage.
»Du hast noch gar nichts zu Aidan gesagt«, beharrte Dawn auf ihrem Lieblingsthema. »Wie gefällt er dir eigentlich so?«
»Was soll ich nach so kurzer Bekanntschaft über ihn schon groß sagen?« Fiona konnte ebenfalls stur sein.
»Irgendetwas muss dir doch zu diesem Mann einfallen! Zu seinem Aussehen, seinem Lächeln, seinen Augen…«
»Seiner Burg?« Trotz allem musste Fiona
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