Geisterlicht: Roman (German Edition)
Schatten zu sehen, aber sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, weshalb ihre Urahnin ihnen hierhergefolgt sein könnte. Andererseits wäre es eine gute Gelegenheit für Aidan, sich im Namen Arthurs bei ihr zu entschuldigen. Doch Fiona hatte wenig Hoffnung, dass sie ihn dazu überreden konnte.
Vor ihnen tat sich nun eine kleine Lichtung auf, in deren Mitte ein Häuschen stand. Es war aus massiven Steinen gebaut, besaß ein verwittertes Ziegeldach und die Fenster waren teilweise aus den morschen Rahmen gefallen und zerbrochen. Das kleine Haus übte eine sonderbare Anziehung auf Fiona aus. Wie in Trance bewegte sie sich darauf zu.
»Dafür, dass sich keiner darum kümmert, sieht es gar nicht so schlecht aus. Jedenfalls nicht so, als würde es jeden Moment einstürzen«, stellte Aidan erfreut fest. Er schien das Haus zu mögen, wahrscheinlich weckte es Erinnerungen an jene fröhlichen Spielnachmittage, die er erwähnt hatte.
Nun ging er zu der niedrigen Holztür, die schief in den Angeln hing und halb offen stand. Irgendwann einmal war das Türblatt blau gestrichen gewesen, doch daran erinnerte nur noch ein kaum wahrnehmbarer Schimmer. Nur mühsam gelang es Aidan, die Tür so weit zu öffnen, dass sie bequem eintreten konnten.
Unwillkürlich ging Fiona auf Zehenspitzen, als sie den einzigen Raum des Häuschens betrat. Er war mit alten Möbeln eingerichtet, die erstaunlich gut erhalten waren, wenn man bedachte, dass hier nie geheizt wurde und Fenster und Tür schon wer weiß wie lange nicht mehr richtig schlossen.
In einer Ecke stand neben einem kleinen Schrank ein Ofen, auf dem auch gekocht werden konnte. Davor hatten ein Holztisch und zwei Stühle ihren Platz. Die andere Hälfte des Zimmers nahm ein großes Bett ein.
Als Fiona dieses Bett sah, durchlief sie ein heißer Schauer. Wie eine Schlafwandlerin ging sie darauf zu und berührte mit den Fingerspitzen eines der Kissen. Der Bezug war stockfleckig und vergilbt, aber sie wusste, dass er einmal weiß und glatt gewesen war. Und in heißen Sommernächten hatte er sich kühl angefühlt, wenn man die Wange daran schmiegte. Der feine Stoff hatte sanft geraschelt, wenn zwei nackte Leiber sich darin bewegten. Arthur hatte die Bettwäsche aus der Burg mitgebracht. Nie zuvor hatte sie auf so teuren Laken geschlafen, die so fein dufteten. Und wenn Arthur sie in seinen Armen hielt und die Bettdecke über sie beide zog, schien es, als könnte ihr nie wieder im Leben etwas geschehen. Aber sie hatte sich getäuscht. Er hatte sie getäuscht …
»Fiona?«
Aidans Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. Sie zuckte zusammen und wandte sich ihm zu. Er hatte den kleinen Tisch mit dem Inhalt des Picknickkorbs gedeckt. So wie Arthur damals. Sie blinzelte, als sie meinte, im Ofen ein Feuer brennen zu sehen. Doch sie hatte sich getäuscht. Dennoch war ihr plötzlich heiß. So heiß, dass sie sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte. »Ich habe Durst«, stieß sie hervor und ging zum Tisch.
Aidan hatte bereits den heißen Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne in zwei Becher gegossen, die ebenfalls im Picknickkorb gewesen waren. Gierig griff sie nach einem davon und leerte ihn zur Hälfte. Dann ließ sie sich auf einen der Stühle fallen.
»Sei vorsichtig«, warnte Aidan sie. »Die Möbel könnten morsch sein und zusammenbrechen.«
Fiona nickte gedankenverloren und starrte zur Tür. Der graue Schatten war so durchscheinend, dass sie ihn nur wahrnahm, weil die Sonne durch die zerbrochenen Fenster hell ins Zimmer fiel. Es war nur ein Huschen, dann war der Raum plötzlich erfüllt von Traurigkeit und Wut. Fiona spürte, wie schwarze schwere Gefühle in ihr aufstiegen, so wie schmutziges Wasser, das zunächst nur ihre Knöchel umspülte, doch bald schon bis zu ihrer Kehle reichte, die sich nun eng und rau anfühlte. Schließlich hatte sie einen ekelhaft bitteren Geschmack im Mund. Hastig griff sie nach ihrem Teebecher und nahm einen weiteren großen Schluck. Doch die Bitterkeit auf ihrer Zunge ließ sich nicht so einfach wegspülen.
Sie schaute Aidan an, der ihr an dem kleinen Tisch mit der stumpfen, zerkratzten Holzplatte gegenübersaß. »Wie alt ist dieses Häuschen?«, erkundigte sie sich.
»Ein paar Hundert Jahre. Natürlich wurde es zwischendurch immer wieder renoviert. Ich erinnere mich, dass mein Vater einige Handwerker auf die Insel schickte, als ich ein Junge war. Ich glaube, das hier war mal so was wie ein Liebesnest. Ein geheimer Treffpunkt für
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