Geisterstadt
verborgenen Volk, einer so geheimnisvollen und gefürchteten Gruppierung, dass selbst Downsider ihren Namen nur als Fluch in den Mund nahmen. Das hier war ein Beinhaus, ein Schlachthof.
Wenn ihre Kenntnis der Sagen und Legenden von Downside sie nicht trog, hatten die Lamaru mit diesem Ort nichts zu tun.
I lier ging es um etwas viel, viel Schlimmeres.
»Wir müssen hier raus«, setzte sie an und griff nach seinem Arm, während sie zurückwich. »Wir müssen hier sofort raus, auf der Stelle ...«
Zu spät. Etwas huschte hinter den Seilen die Wand entlang, wo eine unregelmäßige Reihe von Brettern eine Art Gang oberhalb der Höhle formte, und etwas ... etwas Winziges und Missgestaltetes rannte hinterher, dessen Füße auf der festgeklopften Erde patschten. Man hatte sie entdeckt.
Terribles Hand fuhr zum Messer. »Wenn wir wegrennen, kommen sie uns eh nach, oder?«
Sie nickte und biss sich so hart auf die Lippe, dass sie Blut schmeckte. Ja, sie konnten wegrennen - vielleicht. Aber der Weg bis zu dieser Höhle war weit gewesen, eine lange, mühselige Schinderei durch Fels und Lehm. Sie glaubte nicht, dass sie den Rückweg wesentlich schneller bewältigen konnten, aber sie hatte nicht den geringsten Zweifel, dass die Bewohner dieser Mini-Hölle das sehr wohl konnten.
Über ihren Köpfen entstand erneut Bewegung; eine kleine Gestalt schwang sich durch die Seile wie ein Affe. Eine sehr kleine Gestalt.
Ein Kind.
»Ich seh hier keinen anderen Weg raus.«
Überall auf ihrer Haut prickelte es; jeder weitere Blick, der sie traf, war wie ein neuer Einschlag. Es waren so viele, sie spürte sie deutlich, während ihr würgender, kranker Hunger Verstand und Sicht vernebelte. Ein Schutzzauber hatte die Tür versperrt, durch die sie hereingekommen waren. Und sie ging jede Wette ein, dass auch der Ausgang - wenn es denn einen gab - verschleiert war.
Für so einen Scheiß hatte sie jetzt wirklich keine Zeit, aber eine andere Wahl blieb ihnen auch nicht. Sie ballte die Hände und holte tief Luft, fand die Macht in ihrem Inneren und ließ sie auflodern, während sie die Wände absuchte. Die Bewegung, die unverkennbare Tatsache, dass sich immer mehr Leiber auf den Brettern regten, das raue, trockene Flüstern quer durch den knochenübersäten Raum, das alles musste sie verdrängen, und den Ausgang finden. Die Tür.
»Da!« Sie zeigte darauf; für Erklärungen blieb keine Zeit. »Da, los, lauf...«
Seine große Hand schlang sich um ihre und hielt sie fest, als er durchstartete. Zugleich kamen die Wesen hinter den Brettern hervor und stürzten sich auf sie.
Oh Scheiße, sind die verdreht, die sind ja so was von verdreht ....
Missgestaltete Körper, ohne Hände, deformiert. Klaffende, zahnlose Münder und blutiges Grinsen mit zu vielen Zähnen. Vorspringende Stirnen, auf denen das Kerzenlicht schimmerte, Schweinsäuglein, die über den gekrümmten Nasen viel zu dicht beisammenstanden. Sie griffen nach ihnen, fassten nach ihrer Kleidung, nach ihrem Haar ...
Sie stolperte. Terrible zerrte sie wieder hoch und rannte weiter. Ringsum erhob sich Geheul, meckernde und kreischende Stimmen. Stahl blitzte, als Messer gereckt wurden.
Die Tür war jetzt ganz nahe, sie konnte sie sehen, eine einfache Tür - eine ganz reale Tür - oberhalb einiger in die Erde gehauener Stufen. Es war ein verzweifelter Fluchtversuch, als sie Terrible beiseitezog und zuließ, dass er sie einfach mitschleifte, schneller, als sie aus eigener Kraft vorangekommen wäre. Ihre I .ungen drohten angesichts des unerträglichen Ansturms von Wahnsinn und der unmenschlich pervertierten Wesen vor Atemlosigkeit und Aussichtslosigkeit zu explodieren.
Eine Gestalt verstellte den Weg zur Tür. Sie waren schon halb die Treppen hinauf, als sie erkannten, dass es Maguinness war,
(ler sie mit verschränkten Armen anlächelte.
Er hob eine bleiche, feingliedrige Hand, und der Lärm um sie erstarb, bis nur noch das Klingeln in ihren Ohren zurückblieb.
»Ich kenne dich.« Er musterte Terrible von oben bis unten.
Terribles Hand umfasste ihre beinahe unmerklich fester. »Du arbeitest doch für den großen Boss, nicht wahr?«
»Hm-hm.«
Jetzt richtete sich das glückselige Lächeln, dass durch seine Leere so erschreckend wirkte, aut sie. »Und du arbeitest für den anderen Boss. Warum habt ihr meine Kinder gestört?«
Sie riss den Blick von ihm los, weil sie es nicht länger ertrug, ihm ins wächserne Gesicht zu sehen. Über ihm baumelten in endlosen Reihen Kröten an Fäden.
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