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Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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und zwar mit jemandem an ihrer Seite, der sie nur bei Androhung von Gewalt anfasste.
    An manchen Tagen lohnte sich das Aufstehen einfach nicht. Wenigstens in dieser Hinsicht war heute ein Tag wie jeder andere.

26
    Wir wissen, dass mit Magie alles möglich ist.
    Aber nicht alles, was möglich ist, ist auch gerechtfertigt; das Mögliche und das moralisch Richtige stimmen nicht immer überein, und das ist die Wahrheit.
    Das Buch der Wahrheit, »Veraxis«, Artikel 873
    Tief gebeugt ging er voran. Sie befanden sich im einfachsten denkbaren Tunnel: einem in die Erde getriebenen Gang, den man mit Schaufeln, Hacken und den bloßen Händen gegraben hatte. Die Hände konnte sie bei jedem mühseligen Schritt spüren. Hände, die nach ihr griffen. Hände, die wie Schnecken aus der Erde krochen, um sie zu fassen ...
    Abrupt blieb sie stehen und presste die Hände an die Erde. Mochte sie auch noch so sehr mit schwarzer Magie gesättigt sein, so war es doch bloß Erde, immer noch rein und natürlich, immer noch eine Quelle von Kraft und Energie. Diese Kraft war der Treibstoff der Kirche, die Quelle all ihrer Magie und ihre stärkste Waffe im Kampf gegen die Geister, die die Menschheit aus purem, blindem Hass vernichten wollten. Wenn sie sie nur berührte, wenn sie nur die Finger darin vergrab, fühlte sie sich schon wieder mehr im Einklang mit sich selbst.
    Aber Dreck und Dunkelheit vertrieb das natürlich nicht, oh nein. Wut und Blut und ... was war ...
    »Alles klar? Komm, ich will hier nicht ewig rumhängen.«
    Bei diesen geflüsterten Worten sah sie zu ihm hinüber. Er stand ein paar Schritte von ihr entfernt, halb ihr zugewandt, immer noch gebückt. Schon für sie war diese Haltung unbequem, für ihn, bei seiner Größe, musste es die Hölle sein.
    »Ja, klar, es ist nur ... irgendwas stimmt hier nicht.«
    »Was stimmt ’n hier bitte überhaupt?«
    »Also, das fühlt sich ... total falsch an. Weißt du, was ich meine? Nicht bloß schwarze Magie oder Mord oder so. Es fühlt sich an, als hätte mit den Leuten, die diesen Tunnel gegraben haben, was nicht gestimmt. Irgendwas an denen war komplett verkehrt.«
    »Als hätten sie ’n Dachschaden gehabt?«
    »Nein, eher... Naja, schon, aber... ich weiß nicht. Ich kann das nicht erklären.« Sie zog die Hände aus der Erde und klopfte sie ab.
    »Willst du umkehren?«
    Sie ruckte den Kopf hoch. Ja, sie wollte dringend umkehren, und nein, das wollte sie um keinen Preis zugeben. »Nein. Geh weiter.«
    Er zuckte die Achseln und setzte sich wieder in Bewegung; allerdings fiel ihr auf, dass er es sorgfältig vermied, die festgeklopfte Erde der Tunnelwände zu berühren. Einmal, als er mit der Schulter darüberstrich, zuckte er sogar zurück.
    Sie fragte gar nicht erst nach. Und ehrlich gesagt hätte sie wohl auch kein Wort herausgebracht, selbst wenn sie gewollt hätte. Mit jedem Schritt verstärkte sich das Gefühl, dass irgendwas hier einfach falsch war. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich die Arme rubbelte, um die Gänsehaut loszuwerden. Sie versuchte, das Erschaudern zu unterdrücken und das Chaos in ihrem Kopf zu besänftigen.
    Ohne Erfolg. Sie kam einfach nicht zur Ruhe und konnte sich auf nichts konzentrieren.
    Terrible blieb plötzlich stehen; als sie gegen ihn prallte, bemerkte sie es kaum. Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu und bedeutete ihr, nach vorne zu schauen.
    Der Tunnel mündete in einen höhlenartigen Raum: einen Raum, wie sie ihn noch nie zuvor im Leben gesehen hatte und hoffentlich auch nie wieder sehen würde.
    Zunächst glaubte sie, dass sie wieder über der Erdoberfläche waren. Grelles Licht blendete sie und trieb ihr die Tränen in die Augen. Erst nach ein paar Sekunden begriff sie, dass es kein Tageslicht, sondern Kerzenschein war, den sie vor sich sah. Kerzen säumten die Wände in schwindelerregenden Mengen. Quer über die Decke war ein Netz aus sich überkreuzenden Seilen gespannt, in dem Knochen und Schädel hingen, Tücher, Rattenfelle und ineinander geknotete Federn. Dieselben Seile baumelten an den Wänden herunter, zwischen den Kerzenreihen, zwischen den Regalbrettem aus Knochen und Holz, zwischen etwas, das fast wie Betten aussah.
    Kleine Betten. Schmale Betten.
    Weitere Schädel waren am Boden verteilt. Einige davon waren menschlich.
    Der Gestank von verrottetem Fleisch stieg ihr in die Nase; Galle und Speichel strömten ihr in den Mund. Das hier war keine Wohnung, nicht irgendein gemütliches Höhlenversteck. Das hier gehörte dem

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