Geisterstadt
vielleicht daran lag, dass es sich gleich um eine doppelte Lüge gehandelt hatte; sie hatte den Eid schon allein dadurch gebrochen, dass sie andere Leute mit in die Tunnel genommen hatte - und jetzt brach sie ihn gleich noch einmal, indem sie das auch noch verheimlichte.
Größtenteils beherrschte aber unerträglicher Schmerz ihre Gedanken, der sie mit unbarmherzigen, scharfen Zähnen zermalmte und in Fetzen riss, wie ein Löwe, der sich über ein rohes Stück Fleisch hermacht. Sie übergab sich auf den Teppich, ihr war schwindelig, sie konnte nicht mehr klar denken ...
»Wer war da bei ehr, Cesaria? Wer weiß noch von uns?«
»Niemand.« Sie würde sterben. Genau hier. In diesem Augenblick. Sie würde sterben, weil Laurens bestimmter Tonfall und die Art, wie sie sich vorbeugte, keinen Zweifel daran ließ, dass sie wusste, dass sie auf der richtigen Spur war, und dass die
Frage nach den Mitwissern wichtiger war, als Chess zunächst angenommen hatte.
Warum interessierte sie das so sehr? Wenn die Lamaru einmal mehr ihre Ränke schmiedeten, um die Kirche zu zerstören und die Macht zu übernehmen, was kümmerte es sie dann, wenn jemand davon erfuhr? Warum brachten sie sie nicht einfach um und zogen dann ihren Plan durch, bevor ihnen noch jemand in die Quere kommen konnte?
Die Antwort kam wie von weit weg; aus dem Teil ihres Verstandes, der noch zu klaren Gedanken fähig war, dem Teil, der sich aus ihrem Körper verabschiedet hatte. Sie müssen das wissen, weil sie bisher noch nicht loslegen konnten. Warum auch immer, aber sie waren noch nicht ganz startklar, sie mussten noch auf irgendetwas warten und hatten jetzt Angst, dass sie jemand aufhalten würde, bevor ...
»Die Zeremonie für den Ältesten Murray«, keuchte sie und kämpfte den erneut aufflammenden Schmerz in den Armen nieder, während ihr erneut heißes Blut aus den Handgelenken tropfte. Oh, es war so schrecklich, sie war widerlich und abstoßend - so wollte sie nicht sterben. Aber die Männer der Lamaru waren im Raum, und die waren nicht berechtigt, etwas über den Fall zu erfahren, ganz egal, ob sie schon Bescheid wussten. Allein die Tatsache, dass sie mit ihnen darüber sprach, reichte aus, um den Bindenden Eid zu aktivieren. »Es geht um die Widmungszeremonie des Ältesten Murray, nicht wahr? Worauf wartet ihr noch? Warum könnt ihr nicht einfach ...«
Laurens Ohrfeige spürte sie kaum; was juckte sie jetzt noch das bisschen Schmerz? »Wem hast du davon erzählt?«
»Du hast diesen Geist bei der Hinrichtung eingeschmuggelt. Und auch den Psychopomp, oder? Das war ein Probelauf oder so.« Ja. Wahrscheinlich war es Lauren gewesen - sie war einfach schon länger in der Stadt, als sie zugegeben hatte, und bei einem Besuch im Gefängnis hätte sie auch keine Unterschrift... Nein. Nein, das ergab keinen Sinn, schließlich hätte Laurens Vater wissen müssen, dass sie in der Stadt war. Vielleicht war es jemand ganz anders gewesen, jemand, dessen Namen sie in der Besucherliste nicht erkannt hätte, und Maguinness war nur zur Ablenkung dort aufgetaucht.
Die Luft zu ihrer Rechten flimmerte. Frische Energie strömte ihr über die Haut und leckte daran. Geisterenergie, die ihre Tattoos zum Kribbeln brachte.
Die Ersten Ältesten kamen. Ja.
Auch Lauren hatte es bemerkt. »Wem hast du davon erzählt? Wenn du es uns sagst, musst du nicht ins Geistergefängnis - wir lassen dich am Leben, wenn du redest. Spuck’s einfach aus! Wer weiß noch davon?«
»Du hast den Geist hineingeschmuggelt, damit ... damit er einen von uns tötet.« Das letzte Wort schrie sie hinaus. Der Schmerz wurde immer schlimmer. Sie musste zum Schluss kommen. Die Ersten Ältesten konnten jetzt jeden Augenblick hier sein und sie mitnehmen. Sie wollte nicht gehen, Scheiße, sie wollte da nicht hin, sie hatte so eine verfluchte Angst! Sie hatte Angst und war ganz alleine, aber ihr blieb keine andere Wahl. Sie musste dieser Sache mit Gewalt ein Ende machen.
Und zwar auf der Stelle, bevor sie aus ihr rausquetschten, dass sowohl Lex als auch Terrible eingeweiht waren oder wenigstens einen starken Verdacht hatten. Dass beide sich vielleicht bei der Kirche melden würden. Beide kannten Doyle; sie hatte Terrible schon einmal gebeten, zu ihm zu gehen. Und sie war sich sicher, dass er das auch tun würde, wenn ihm klar wurde, dass ihr etwas zugestoßen sein musste. Trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, lag ihm sicher immer noch genug an ihr, um ihr diesen letzten Gefallen zu tun.
Den
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