Geisterstadt
Anschlag der Lamaru auf die Kirche zu vereiteln war das eine, und es war ohne Zweifel wichtig. Aber sie davon abzuhalten, Terrible oder Lex in die Finger zu bekommen, war etwas ganz anderes.
Aber sie musste es unbedingt schaffen, und wenn es sie das Leben kostete. Es würde sie auf jeden Fall das Leben kosten.
Sie ballte die Fäuste und versuchte alle Kraft, die ihr noch blieb, in die linke Hand zu lenken, um den Schmerz so weit auszublenden, dass sie sprechen konnte. »Du musstest einen von uns töten. Egal wen. Du brauchtest - du brauchtest eine Widmungszeremonie, denn nur dieses Ereignis war machtvoll genug. Stimmt’s? Das war dein Plan, oder?«
»Sag mir, wem du davon erzählt hast!«
»Wer hat den Geist hineingeschmuggelt? Und den Psychopomp in die Tasche des Henkers?«
Die Ersten Ältesten nahmen schlagartig Gestalt an.
Chess’ Tätowierungen explodierten förmlich, als ihr die Energie so heftig und heiß über die Haut züngelte, dass sie schon glaubte, sie würde auf der Stelle in Flammen aufgehen und das sei die Art, wie die Ältesten sie mitnehmen würden.
Obwohl sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, warf sie sich zur Seite und versuchte, sich zu verstecken. Lauren folgte ihr, packte sie und versuchte, sie den Ältesten entgegenzuschleudern, wie um sie ihnen als Opfer darzubringen.
Sie waren unglaublich bedrohlich. Schlimmer noch als bei ihrer letzten Begegnung während der Schwurzeremonie. Damals waren sie kühl und distanziert gewesen. Die Macht ihrer eigenen Gesetze hatte sie davon abgehalten, den Sterblichen zu schaden, ebenso wie der Bannkreis und die Zaubersprüche.
Diesmal gab es keinen Bann, der sie hinderte. Sie starrten sie aus bösartigen Gesichtern an, grauenvollen, totenblassen Gesichtern, die durchscheinend und schrecklich makellos waren, die Augen von schwarzen Ringen umgeben. Sie reckten die
Hände nach ihr, während die Leiber sich drehten und wiegten wie die von Tänzern.
Chess griff Lauren ins Haar und riss daran. Fest. So fest, dass sie Laurens Gesicht mit einem befriedigenden Krachen in den Boden rammte.
Lauren schrie und schlug zurück. Die Ersten Ältesten kamen langsam näher. Sie hatten alle Zeit der Welt.
Chess hingegen nicht. Sie war erschöpft, ihre Handgelenke brannten immer noch vor Schmerz, und ihr Kopf war zu leicht und ihr Körper zu schwer. Trotzdem kämpfte sie gegen Laurens Griff an, während sie immer wieder zu den Lamaru hinübersah, die sich in den Flur zurückzogen.
Ihr Handy klingelte.
Sie war so in den Kampf vertieft, dass sie zunächst gar nicht begriff, was los war. Auch Lauren schien nicht schnell genug zu schalten; sie griff mit der Faust nach Chess’ Haar, versuchte aufzustehen, um den Ersten Ältesten Chess vor die Nase zu halten wie eine Art Puppe.
»Ihr habt ihre Lügen gehört. Ihr habt gehört, wie sie den Schwur gebrochen hat.« Laurens Stimme zitterte fast so stark wie ihre Knie. Beides war Chess im Moment herzlich egal. Ihre Hand glitt ans Telefon, das immer noch in ihrer Tasche steckte, und zog es gerade weit genug heraus, um den Namen des Anrufers zu erkennen, während sie den Knopf zum Abheben drückte.
TNL flimmerte auf dem Display. Lex? Warum um alles in der Welt bekam sie einen Anruf von Lex?
Für Fragen blieb keine Zeit. Sie hielt sich nicht mal damit auf, den Apparat ans Ohr zu heben. Stattdessen brüllte sie einfach. Es fühlte sich dumm und theatralisch an, aber sie tat es trotzdem; in der verzweifelten Hoffnung, dass Lex kapierte und das Richtige tat, schrie sie Terribles Namen.
Laurens Griff lockerte sich; Chess nahm an, dass sie nach dem Handy Ausschau hielt, das in Chess’ Tasche immer noch auf Empfang geschaltet war. Egal. Sie nutzte die Gelegenheit, sich aus Laurens Umklammerung zu winden - wobei ein dickes Haarbüschel in der Hand ihrer Gegnerin zurückblieb, verdammt! -, und stürzte zur Eingangstür. Die war zwar immer noch mit Schutzzeichen versehen, aber vielleicht gelang ihr trotzdem die Flucht, wenn die Energiekonzentration in der Luft die Schutzzauber sprengte.
Die Ältesten schwebten um Lauren herum, die schrecklichen, wütenden Augen auf Chess gerichtet. Die Tür wollte einfach nicht aufgehen. Selbst wenn, wären sie ihr natürlich einfach gefolgt, bis sie sie erwischt hätten, denn schließlich hatte sie keine Möglichkeit, sie irgendwie zu bannen ...
Oder doch?
Immerhin handelte es sich ja um Geister. Starke und mächtige Geister, aber nichtsdestotrotz Geister, die den Gesetzen der Geisterwelt
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