Geisterstadt
entgegengingen.
Nur das schwache Mondlicht, das durch die Fenster hoch oben in der Wand fiel, erleuchtete die Szenerie. Die Rampen schimmerten im Mondschein, still, kalt und lauernd.
Die Tiere kamen am einen Ende herein, wurden blind von einer scharfen Biegung zur nächsten geführt, ohne zu begreifen, wohin die Reise ging oder dass man sie in eine tödliche Falle gebracht hatte, aus der es kein Entkommen gab. Von dem Augenblick an, in dem sie einen Huf in das Gebäude gesetzt hatten und sich auf diese ersten paar Schritte vorwärts eingelassen hatten, war die Chance zur Flucht vertan.
Chess erschauderte.
Am Ende der Halle befand sich ein Rollladen aus Metallgitter, wie ihn Läden nach Feierabend vor dem Schaufenster hinabließen.
Dahinter loderten Flammen, bei deren Schein Chess und Lauren sich duckten.
Die Lamaru waren hier. Sie erkannte die schwarzen Umrisse, die sich gegen das Feuer abzeichneten, und hörte, wie sich die Stimmen zu neuen Höhen emporschraubten. Sie hörte die Hunde winseln und witterte ihre Furcht wie beißende Säure in der stillen Luft. Sie roch ihr Blut. Ihre Unruhe steckte sie an und ließ ihr Herz schneller schlagen.
Genau wie das hungrige Verlangen in ihrem Körper. Wenn sie nicht bald mal ein ruhiges Eckchen fand, würde sie ein echtes Problem bekommen. Der Kampf gegen die Lamaru würde ihr das Letzte abverlangen, und in ihrem derzeitigen Zustand würde sie das nicht bringen, nicht, wenn ihr der Schweiß auf der Stirn stand und ihr die Handflächen brannten.
Sie hatten jetzt zwei Möglichkeiten. Der Rollladen reichte nicht ganz bis zum Boden, sondern nur bis knapp zur Hälfte des Weges, sodass etwa auf Chess’ Kniehöhe Schluss war. Sie konnten darunter hindurchkriechen.
Aber am anderen Ende der Halle gab es eine weitere Tür, auf der ein Piktogramm mit einem Strichmännchen klebte, das eine Treppe hinunterging.
»Das ist die Treppe nach oben«, flüsterte Chess. »Wir könnten von da aus beobachten, was sie Vorhaben. Wir teilen uns auf, du gehst linksrum, ich rechts.«
Selbst im Dunkeln konnte sie erkennen, wie Lauren genervt die Nase rümpfte, aber drauf geschissen! Die schreckliche, geballte Energie der Lamarumagie und das heisere Flüstern der Psychopompmagie schnürten ihr die Kehle zu, und sie wollte einfach nur, dass das aufhörte. Ihre Gesänge hatten einen besonderen Rhythmus, ein träges Pulsieren, das ihr direkt in die Seele fuhr und ihrem Herzschlag den gleichen Takt aufzwang.
»Ich glaube, das ist keine so gute Idee. Sie sind doch gleich da drüben.«
»Ruf Verstärkung! Alleine werden wir mit denen nicht fertig.«
Lauren seufzte nicht wirklich, aber sie stieß einen schwachen, hustenden Kehllaut aus. »Ich soll also hier direkt vor ihrer Nase mit meinem Handydisplay rumleuchten, ja?«
Ein Hund heulte. Energie raste über den Boden und krachte gegen Chess. Die Lamaru hatten es geschafft. Sie hatten einen Psychopomp erschaffen. Wahrscheinlich nur einen von vielen. Oh Fuck! Wahrscheinlich hatte sie sich noch nie so unglaublich geärgert, dass sie recht behalten hatte.
Andererseits... bot sich ihnen hier auch eine einmalige Chance. »Dann geh zum Telefonieren ins Treppenhaus. Ich bleibe hier und behalte sie im Auge.«
Sie schloss die Hand um das Pillendöschen.
»Ich finde, wir sollten uns nicht trennen.«
Ach, verdammte Scheiße noch mal! Chess packte Lauren am Arm und schubste sie praktisch ins Treppenhaus, merkte aber zu spät, dass die Türangeln nicht geölt waren. Ein entsetzliches Quietschen ertönte, das sogar das Heulen der Hunde und die Gesänge der Lamaru übertönte.
Der Chor erstarb. Scheiße!
Die schwere Stahltür zum Treppenhaus fiel hinter ihnen zu. Den Weg, auf dem sie gekommen waren, wieder zurückzugehen, würde zu lange dauern und wäre auch zu schwierig. Das Quietschen und die darauf folgende Stille hatte die Tiere aufgeweckt oder vielmehr den Bann gebrochen, unter dem sie gestanden hatten - wahrscheinlich von einer Ruhmeshand, und nicht nur von einer. Selbst durch die dicken Wände konnte Chess sie noch bellen und jaulen, muhen, quieken und blöken hören. Zu laut für ihre überreizten Ohren.
»Toll gemacht, Cesaria.« Lauren nahm sie am Arm und zog sie die Stufen hinauf-nicht, dass das nötig gewesen wäre. Chess hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie meinte sich zu erinnern, gegenüber den Büros, die sie vorhin besucht hatten, einen Zugang zum Treppenhaus gesehen zu haben; von dort aus hatten sie freie Bahn in die
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