Geisterstadt
an einer Tankstelle hinter Carson City. Während er sich mit Bob um den Wagen kümmerte, ging Justus zum Telefon. Es war mittlerweile vier Uhr nachmittags, vielleicht war Tante Mathilda gerade im Ferienhaus. Er wählte die Nummer, allerdings ohne Erfolg. In der Villa wollte er nicht anrufen. Er verließ die Zelle, murmelte plötzlich: »Capistrano«, und machte auf dem Absatz kehrt.
Die Nummer der Polizei von South Lake Tahoe hatte Justus nicht bei sich. Und in den Telefonzellen von Nevada waren die Telefonbücher des Nachbarstaats Kalifornien offenbar Mangelware. Also ließ er sich das Gespräch mit dem Inspektor handvermitteln. Er sah zu Peter und Bob hinüber, die schon ungeduldig winkten, und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Polizeistation, South Lake Tahoe«, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme im Hörer.
»Inspektor Capistrano, bitte.«
Justus wurde abermals verbunden, um zu erfahren, dass der Polizist gerade das Haus verlassen hatte.
»Wir arbeiten am Entführungsfall Oames«, sagte der Erste Detektiv frech, »und müssen ihn dringend erreichen.« Der Überrumpelungsversuch schlug fehl. Er erfuhr weder, wohin Capistrano unterwegs war, noch wie er erreicht werden konnte. Enttäuscht legte Justus auf.
»Wieso wusste Deborah nicht, dass Oames die Firma an seine Kinder übergeben hatte?«, fragte Bob, während sie durch Carson City dem Highway Richtung Südwesten zusteuerten.
»Gute Frage«, antwortete Peter. »Und eine mindestens ebenso gute heißt: ›Wie kamen ihre Notizen in die Hände des Spieleverlegers?‹«
»Deborah ist etwa 1,70 Meter groß«, schaltete sich Justus ein. »Oames ist mehr als zehn Zentimeter größer und sportlich. Und erinnert euch an die Trimmgeräte und das Mountainbike in Oames’ Garage. Wie man da überhaupt auf die Idee kommen kann, sie könnte ihn entführt haben, ist mir ein Rätsel.«
»Aber wir kennen jetzt schon zwei Menschen, die das nicht für ausgeschlossen halten«, wandte Bob ein.
Im Handschuhfach fand Justus die Straßenkarte und faltete sie auf seinen Knien auseinander. »Wisst ihr was?«, fragte er dann. »Diese Feriensiedlung ist genau gegenüber vom Rubicon Point.«
»Lass mal sehen.« Bob öffnete seinen Sicherheitsgurt und beugte sich von hinten über den Beifahrersitz. »Mit einem Boot ist das ein Katzensprung«, sagte er nachdenklich. Dann tippte er Justus auf die Schulter. »Du weißt doch alles. Neuerdings sogar über die Arbeiterbewegung in Virginia City«, konnte er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen.
»Nur weil Peter verraten hätte, was Bulette doch nicht unbedingt wissen muss, oder?«, konterte Justus blitzschnell.
»Is ja schon gut«, beruhigte Bob den Freund. »Sag uns lieber, wer oder was Rubicon ist?«
»Das war so ein römischer Berg«, mischte Peter sich ein.
Justus kicherte. »Rom halb richtig. Berg ganz falsch. Man merkt, Geschichte ist einfach nicht dein Steckenpferd.«
»Also wie jetzt?«, drängte Bob auf eine Antwort.
»Der Rubicon ist ein kleiner Fluss in Norditalien, den Cäsar mit seinem Heer überschritt. Womit er einen Bürgerkrieg auslöste.«
Peter wollte zeigen, dass er keineswegs immer im Geschichtsunterricht gefehlt oder geschlafen hatte. »Und Cäsar war ein Herrscher bei den alten Römern. Übrigens mit einer ägyptischen Freundin.«
»Danke, danke«, winkte Bob ab, »zu gütig. So weit bin ich selber in die Details der Antike eingedrungen.«
»Die nächste Ausfahrt müssen wir nehmen«, warf Justus ein. Wortlos folgte Peter seinen Kommandos, bis sie über eine Stichstraße direkt am See ankamen.
Zephyr Cove war kein richtiger Ort, sondern eine Bucht mit Ferienhäusern. Peter parkte den Wagen neben einem geschlossenen Lebensmittelkiosk.
»Wenn die Karte stimmt, gibt es gleich da drüben einen winterfesten Campingplatz.« Justus deutete nach rechts. »Dort müssten wir doch jemanden finden, den wir fragen können.«
Sie stapften durch den Schnee, der hier noch ziemlich hoch lag. Am Ende einer kleinen Allee war tatsächlich die Einfahrt zum Campingplatz. Sie gingen an der geschlossenen Schranke vorbei. Mehrere Hinweispfeile dirigierten sie zum Office. Es war in einem Campingwagen untergebracht und erinnerte Justus stark an ihr eigenes Detektivbüro in Rocky Beach. Justus dachte daran, dass dies hier eine ganz andere Welt war als ihre gewohnte Umgebung in der kalifornischen Kleinstadt. Er klopfte an.
»Herein«, war die Stimme eines Mannes zu hören. Sie traten ein, grüßten und fragten nach den
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