Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
das ehrlich? Ist das Würde? Bullshit!
Erst als die Zeremonie schon fast vorbei war, gesellte sich noch ein abgehetzt wirkender Mann neben mich. Er war etwa in Peters Alter.
Er flüsterte mir zu: »Hi, mein Name ist Cavendish.«
»Rafton«, flüsterte ich zurück.
Wir schüttelten uns die Hand.
»Sind Sie ein Angehöriger?«, fragte er mich.
»Nein, nur ein Bekannter.«
Die restliche Zeit folgten wir schweigsam der Zeremonie.
Am Ende, als noch abschließende Beileidsbekundungen und Schulterklopfer ausgetauscht wurden, unterhielt ich mich, dankbar nicht alleine herumstehen zu müssen, mit Mr. Cavendish.
»Tja, das war ne schlimme Sache mit seiner Frau. Hat er wohl nicht verwunden«, sagte er.
»Hm, hm.«
»Wir waren zusammen zur Schule gegangen. Von der Grundschule bis zur High School. Ich sage Ihnen, wir haben allerlei Unfug angestellt. Peter war aber immer sehr ehrgeizig. Er war der Einzige in unserer Clique, der richtig früh Karriere gemacht hat. Und was hat er nun davon?«, fragte er und blickte zum Grab. »Glück ist nur eine Illusion, oder?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Vielleicht ist alles nur eine Illusion.«
»Schön wär’s. Ich habe von einem alten Freund erfahren, dass er sich umgebracht hat. Sonst wäre ich gar nicht hier. Wissen Sie, wo er zuletzt gelebt hat?«
»In Lost Haven.«
»Lost Haven? Ist das nicht dieser Gespenster-Grusel-Abenteuer-Hokuspokus-Ort an der Küste?
»Ja, genau. Nur ohne Gespenster«, sagte ich emotionslos.
»Wer an Gespenster glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Ts, ich möchte wissen, was ihn ausgerechnet dahin verschlagen hat«, sagte Mr. Cavendish und zündete sich eine Zigarette an.
Wir waren bis auf drei weitere Personen noch die einzigen an der Grabstelle.
»Wissen Sie, was mich wundert, Mr. Rafton?«
»Nein, was denn?«
»Dass hier so wenig Leute gekommen sind. Entweder haben es nicht alle erfahren, oder aber er hat mit seinem Umzug nach Lost Haven alle Brücken hinter sich abgebrochen. So wie zu mir.«
»Es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit.«
»Ja?«
»Selbstmord gilt nicht gerade als ehrenhaft. In eine Leistungsgesellschaft, in der es nur überglückliche Gewinner gibt, passt das nicht hinein.«
»Ja«, sagte Mr. Cavendish mit einem verbitterten Lächeln. »Ich kenne diese Leistungsgesellschaft, von der Sie sprechen. Wenn Sie einmal ins Straucheln geraten, dann werden Sie fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Von einem Tag auf den anderen sind Sie Luft und stehen vor einer verschlossen Tür, auf der 'Geschlossene Gesellschaft' steht. Kein Wunder, dass Peter mit diesem verfluchten Ego-Scheiß nichts mehr zu tun haben wollte. Wenigstens ist er in dieser Hinsicht zur Vernunft gekommen.« Er machte eine Pause.
»Wissen Sie, ich stand schon zweimal in meinem Leben vor dem Nichts. Ich meine wirklich nichts. Ich habe ein halbes Jahr lang in einem Zelt geschlafen, habe Scheiß-Jobs gemacht und habe mir dabei einen Bandscheiben-Vorfall zugezogen. Kein Tag ohne Schmerzen.
Aber wissen Sie, warum ich nicht auch schon längst in so einem Loch gelandet bin?«, fragte er und zeigte wieder auf Peters letzte Ruhestätte. »Weil ich eine Frau habe, die ich liebe und zwei bezaubernde Töchter, die mich vergöttern. Ihnen ist es egal, ob ich arm oder reich bin. Wir sind eine aussterbende Spezies, weil wir uns selbst genug sind, und dafür bin ich dankbar. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, ich denke schon.«
»Haben Sie auch Kinder?«
»Eine Tochter.«
»Dann wissen Sie ja, was ich meine.«
»Ja«, sagte ich, aber gedacht habe ich: Nein. Ich wusste nicht, wovon er sprach. Michelle hat mir das, wovon Mr. Cavendish sprach, weggenommen. Sie hat meine Beziehung zu Amy gnadenlos zerstückelt. Sie hat mich ausgestoßen und erniedrigt. Nein, ich wusste nicht, wovon er sprach.
Ich gehörte in dieses Loch. Niemand anderes.
»Also, hat mich gefreut Sie kennenzulernen, Mr. Rafton.«
»Mich auch. Grüßen Sie Ihre Familie von mir. Sie kann stolz auf Sie sein.«
Ein wenig irritiert aber geschmeichelt schüttelte mir Mr. Cavendish die Hand und ging seiner Wege.
Ich war jetzt noch der einzig Übriggebliebene.
Ich überlegte, ob ich noch irgendetwas sagen sollte, bevor ich ging. Lange dachte ich nach.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nur, dass es nicht richtig ist, hörst du? Und ich weiß, dass du dasselbe denkst, sonst hättest du nicht versucht, mir etwas mitzuteilen.
Leb wohl, Peter.«
Dann verließ ich den
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