Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
Kennington Street bis zum Ende und dann weiter durch das unebene Gelände dahinter, entlang der Küste. Ich rannte so schnell ich konnte. Ich rannte bis meine Lungen brannten. Ich rannte, bis meine Oberschenkel und Waden total übersäuerten. Ich rannte, bis ich nicht mehr stehen konnte. Bis mich ein Stein zu Fall brachte und ich auf den Boden fiel. Und im Matsch liegen blieb.
Ich keuchte. Mein Kopf versank ein paar Zentimeter im aufgeweichten Boden. Regenwasser lief mir in den Mund.
Das wäre ein guter Zeitpunkt jetzt zu sterben, dachte ich.
Dunkelheit umfing mich.
4
Aber natürlich bin ich nicht gestorben. Das wäre ja auch zu schön gewesen. Es war Beverly, die mich vom durchnässten Erdboden auflas und nach Hause brachte. Es war Beverly, die sich in den folgenden Tagen aufopferungsvoll um mich kümmerte. Sie war es, die mich wieder aufpäppelte und einen Grund gab weiterzuatmen.
Ganz eindeutig: Ohne sie hätte ich das keinesfalls geschafft.
Womit hatte ich das verdient? Ich weiß bis heute bei besten Willen darauf keine Antwort.
5
Die folgenden sechs Tage, die zwischen Peters Tod und seiner Beerdigung lagen, wurden auf eine ganz besondere Weise von einer Stille getragen, die meine Wut über seine Tat sukzessive zum Schweigen brachte. Nach drei Tagen konnte ich bereits trauern, aber weinen konnte ich nicht.
An Tag eins nach seinem Selbstmord musste ich mit einem Polizeibeamten sprechen. Er wollte mich über Peter ausfragen, da eine gewisse Person, deren Namen er nicht nennen wollte, gesagt hatte, ich hätte ungewöhnlich viel Zeit mit Peter verbracht. Mrs. Danvers hatte ihre Pflicht getan.
Ich erzählte nur das Notwendigste, beschränkte mich aber stets auf die Wahrheit, da ich keinen Ärger wollte.
Glücklicherweise wollte der Beamte sich nicht in meinem Haus umsehen, so dass er nur meine Küche zu sehen bekam. Wenn er das Wohnzimmer gesehen hätte, würde er womöglich auf aberwitzige Verdächtigungen kommen. Nicht, dass ich unter Verdacht geraten könnte. Für den zuständigen Rechtsmediziner war es eindeutig Selbstmord. Peter hatte sich an der Duschvorhangsstange im Badezimmer erhängt. Das Badezimmer, das er bei meinem Besuch verschlossen hielt. Ich war mir sicher, dass er den Strick an jenem Tag schon angebracht hatte, oder die Stange auf ihre Tragfähigkeit hin getestet hatte.
Das Einzige, was den Beamten stutzig machte, war, dass Peter keinen Abschiedsbrief hinterlassen hatte.
Dieser Mistkerl, dachte ich empört. Stiehlt sich feige einfach so davon!
Aber den Beamten sagte ich nur, dass ich mir das nicht erklären könne. Im Nachhinein konnte ich es Peter nicht verübeln. Wem hätte er was sagen, geschweige erklären sollen? Es würde keiner verstehen. Entweder man tut es, oder man lässt es.
Der Polizist sagte mir, die Leiche würde nach Massachusetts überstellt, weil dort sein Vater leben würde und ihn dort beerdigen wollte. Von ihm, dem Vater, hätte man in Erfahrung gebracht, was Peter für einen schmerzvollen Verlust zu ertragen hatte, weil... Aber an der Stelle unterbrach ich und sagte, ich wüsste Bescheid. Jetzt da er tot war, wollte ich die ganze Wahrheit und seine Beweggründe nicht mehr wissen. Meine Schuldgefühle, verursacht durch meine gedankenlose Spannerei in seinem Schlafzimmer, waren zu groß, um Peter jetzt das letzte bisschen Würde zu nehmen, indem ich seine Gefühlswelt von einem fremden entblößen ließ. Nein, danke!
Ich konnte nur hoffen, dass nicht Mrs. Danvers mit ihren emsigen Grauen Witwen alles in Erfahrung bringen würde und dann groß hinausposaunte. Sollte sie es wagen, Peters Andenken in den Schmutz zu ziehen, dann – so schwor ich mir – würde ich ihren Laden anzünden.
An Tag zwei waren Beverly und ich damit beschäftigt, das Wohnzimmer aufzuräumen. Es war ein kühler Tag, so dass wir beide in dicken Pullovern arbeiten mussten. Den leeren fensterlosen Fensterrahmen hatte ich provisorisch mit Baufolie abgeklebt.
Da ich die letzten beiden Tage das Sprechen vermieden hatte und nicht in der Lage war zu telefonieren – den Grund nannte ich Beverly nicht - kümmerte sie sich um die Beschaffung eines Monteurs, der den Schaden begutachten sollte.
Noch am selben Abend kam einer vorbei und meinte, dass man den Fensterrahmen in der Wand lassen könnte und er eine spezielle Scheibe schneiden lassen würde, die er einsetzen wollte.
Die Frage des Monteurs nach der Ursache des Schadens war kaum zu vermeiden. »Wie ist denn das
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