Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
Vorbehaltlich meiner Gewissheit, dass dies nicht der eigentliche Grund war, warum er in Lost Haven gestrandet ist, war das alles, das ich von ihm wusste. Ich selbst wiederum habe ihm nur erzählt, dass ich Schriftsteller war, bevor ich hierher gezogen bin. Er kannte nicht einmal meinen richtigen Namen und er wollte ihn auch gar nicht wissen. Das Ausblenden unserer Vergangenheit war das Fundament unserer Freundschaft, was ich später noch genauer ausführen werde. Nur soviel vorweg: Unsere Freundschaft wäre niemals in unseren früheren Leben möglich gewesen, als wir beide noch glücklich und erfolgreich waren. Sie konnte nur hier existieren. Nur jetzt. Denn das, was hier in Lost Haven von uns beiden noch übrig war, war nur noch ein Schatten dessen, was wir einmal waren.
Aufgrund dieser besonderen Art unserer Beziehung zueinander, war die Entscheidung, Peter ein Geschenk zu kaufen eine heikle Angelegenheit. Für einen Außenstehenden mag das vielleicht befremdlich wirken. Aber mein Geschenk – auch wenn es nur ein Roman war – hatte ich nicht auf das Geratewohl ausgesucht, sondern in dem Glauben, Peter würde darin Ähnliches erkennen wie ich. Und genau das war der kritische Punkt. Ich maßte mir an zu wissen, womit Peter emotional eingenommen werden könnte. Für mich als Autor, war das sicherlich ein Reiz, der in gewisser Weise aus einem Reflex heraus entstand. Deshalb geschah dies nicht in böser Absicht. Aber das war auch gar nicht so wichtig, denn Peter hätte mich wohl in dieser Form nie auf die Probe gestellt. So wurde mein Geschenk zu etwas Persönlichem. Und das Persönliche war in dieser fragilen Freundschaft zwischen Peter und mir stets ausgeklammert worden. Im schlimmsten Fall würde ich dadurch eine Grenze überschreiten, die bisher für uns beide selbstverständlich war.
Wird schon schief gehen, dachte ich, während ich die Main Street entlang schritt. Es war ein sehr schöner und warmer Spätsommertag im September.
Um ein Haar hätte ich kurz vor Beaver's Books angehalten und kehrt gemacht, weil ich kalte Füße bekam. Ich schüttelte den Kopf über meine irrsinnige Annahme, mein Geschenk könnte Peter sauer aufstoßen. Ihn vielleicht glauben lassen, ich wollte in seiner Vergangenheit herumstochern. Unmöglich! Und doch...
Nein, nein ich wollte es jetzt kaufen. Wenn ich es ihm geben würde, würde ich ihm versichern, dass das Buch kein Versuch meinerseits war, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Ich würde dieses Tabu nicht brechen. Genauso wenig wie er es tun würde.
2
Beaver’s Books war ein kleines, altes Geschäft, das der Inhaber Henry Beaver von seinem Vater geerbt hatte. Der Laden hatte sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Wenn man das Geschäft betrat, fühlte man sich ein Stück in der Zeit zurückversetzt. Es herrschte ein schummriges Licht. Es roch nach alten Büchern. Prallvolle Bücherregale bedeckten jeden Quadratmillimeter Wand.
Dieser Laden hatte rein gar nichts mit den modernen, bunten Buchläden gemein. Auch wenn aktuelle Literatur angeboten wurde, so war Beaver’s Books mehr ein Zufluchtsort von Worten, die im heutigen Sprachgebrauch keine Verwendung mehr fanden. Viele alte Schätze lagerten dort neben den neuesten Bestsellern. Doch nur die weniger wertvollen davon bot Mr. Beaver auch zum Verkauf an. Seine Schätze, wie er sie nannte, würde er nie verkaufen.
Ich öffnete die verglaste Tür, an der ein nostalgisches ‚OPEN’-Schild an einer Kette mit Saugnapf an der Innenseite baumelte. Und kaum hatte ich den Raum betreten, hatte ich wiederholt das Gefühl von einer Art Zeitlosigkeit. Draußen vor der Tür lief die Zeit ganz normal weiter, aber hier drinnen war Zeit etwas anderes, sie war zwar existent aber nicht fassbar. Ich war mir nie ganz sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Gefühl war. Jedenfalls stärkte es jedes Mal meine Sinne. So auch an diesem Tag.
Mr. Beaver saß wie immer, wenn ich den Laden betrat, hinter der großen Verkaufstheke und starrte auf den Bildschirm seines Lesegeräts. Nur selten wandte er sich von jenem Bildschirm ab. Henry Beaver verfügte nur noch über eine etwa 15- prozentige Sehfähigkeit. Bücher konnte er nicht mehr ohne technische Hilfe lesen. Eine einfache Leselupe reichte da nicht aus. Sein Lesegerät hatte Ähnlichkeit mit einem Computer. Ein Buch oder eine Zeitung wurde auf ein kleines Podest gelegt, über dem in ca. dreißig Zentimetern Entfernung eine Kamera an einem Teleskoparm angebracht war. Direkt
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