Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
Hälfte geleert.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich dachte. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich nach dieser halben Flasche Wodka überhaupt noch sinnvoll denken konnte. Ich starrte nur die Flasche an und begann, langsam mit der Stirn zu runzeln. Ich kann nicht sagen, ob mir auch nur in den tiefsten Regionen meines Verstandes der Gedanke kam, dass es nicht normal sei, Wodka binnen weniger Sekunden wie Wasser zu trinken, ohne dabei zu bemerken, dass es sich eben nicht um Wasser handelte.
Zu oft war ich in letzter Zeit in jenen Keller gegangen und hatte zu oft nach der immer selben Flasche gegriffen.
So betrachtete ich minutenlang die Flasche auf der Couch sitzend und überlegte vage, ob es sich bei dem durchsichtigen Ding in meiner rechten Hand mit seinem durchsichtigen Inhalt um Freund oder Feind handelte.
Das eine vom anderen stets korrekt unterscheiden zu können, wird umso schwieriger, je mehr man von dem Zeug getrunken hat.
Und so war auch ich nicht mehr in der Lage, diesen Unterschied objektiv erkennen zu können.
Ich neigte ein wenig den Kopf, während ich die Flasche nach wie vor fixierte. Dann schaltete ich den Fernseher mittels Fernbedienung ein, ohne meinen Blick von der Flasche zu lösen.
Ja, dieser Moment hätte vielleicht eine Kehrtwende für mich werden können. Ich meine damit nicht, dass ich mich hätte entscheiden können, mit dem Trinken aufzuhören. Nein, über diesen Punkt war ich längst hinaus. Ich hätte erkennen müssen, dass der Grund für das Trinken das langsame aber stetige Auseinanderbrechen meiner Ehe war, und nicht umgekehrt, wie Michelle es mir später hat einreden wollen. Noch wäre es nicht zu spät gewesen.
4
Michelle verkörperte all das, was ich mir für ein erfülltes Leben zu zweit vorstellte.
Ich war überzeugt, dass ich nie wieder in meinem Leben für einen anderen Menschen so etwas empfinden würde, wie ich es für sie empfunden habe. Und während der letzten drei Jahre, die ich hier alleine in Lost Haven verbracht habe, ertappte ich mich ab und zu dabei, dass ich sie noch immer lieben würde, wären wir wieder zusammen. Und dafür hasste ich mich, denn mein Verstand sagte mir, dass sie das nicht verdient hatte.
Es war an einem Samstagnachmittag. Amy war bei ihren Großeltern, Michelles Eltern, zur Übernachtung. Michelle war einkaufen. Das tat sie am liebsten immer alleine. Wie üblich. Ich hatte mich, wie schon viele Male zuvor nach meinem Karriereende volllaufen lassen. Denken, geschweige denn klares Denken, war mir in diesem Zustand nicht mehr möglich. Ich saß wie immer vorm Fernseher und sah irgendeine Naturdokumentation über die Anden.
»Was machst du da?«, drang plötzlich die Stimme meiner Frau unangenehm laut in meine Ohren. Sie war früher zurück als angekündigt.
Weil wir uns tags zuvor gestritten hatten – ich erinnere mich nicht mehr worüber – beschloss ich in meinem Suff, eine pampige Antwort zu geben.
»Wonach sieht es denn für dich aus, Schatz?«, forderte ich sie heraus, ohne meinen Blick vom Bildschirm zu lösen.
Ich vernahm ein leises Schnauben hinter mir. Dieses Geräusch von ihr kannte ich nur zu gut. Das machte sie immer, wenn sie äußerst wütend war und dabei ihre Fäuste in die Seiten stemmte.
Ich wollte die Situation nicht eskalieren lassen. Also drehte ich mich langsam auf der Couch um und sah meiner Frau in ihre erbosten Augen. Doch zu meiner Überraschung hatte sie nicht die Fäuste in die Seiten gestemmt, sondern stand kerzengerade mit verschränkten Armen und gerecktem Kinn vor mir. Eine Geste, die ich bislang nie bei ihr bemerkt hatte.
»Also schön«, sagte sie nur.
»Schön, was?«, fragte ich. Ich war betrunken.
»Ich setze dem jetzt ein Ende. Ich habe die Schnauze voll.«
Ich warf ihr nur einen dummen, fragenden Blick zu und dachte daran, dass mir jetzt ein Nickerchen gut tun würde.
Michelle holte kurz Luft: »Wir werden uns trennen.«
Ich sagte zunächst nichts, denn ich wusste nicht, wie ich ihren letzten Satz einordnen sollte. Ich glaubte aber nicht, dass sie es wirklich ernst meinen würde.
»Ich hör mit dem Trinken auf«, sagte ich schließlich.
Michelle schüttelte nur verächtlich den Kopf. »Das würdest du niemals schaffen. Und darum geht es mir gar nicht. Ich will Schluss machen.«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte ich gelassen und wenig beeindruckt.
»Oh doch! Ich habe genug von dir. Verstehst du? Genug!«
Langsam wurde ich wütend. »Meine Güte! Ich habe zurzeit eine Krise.
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