Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
schließlich den Dreimaster und umrundeten ihn mit ihrem Ruderboot.
Die beiden Männer berichteten später, dass ihnen ein schimmelartiger Geruch in die Nase stieg, als sie sich dem Schiff näherten. Niemand war an Bord. Der Schiffsrumpf war recht stark verwittert, aber keinesfalls morsch. Auch den Schiffsnamen konnten sie identifizieren. Es war die »Speedwell«.
Wie man erst fast 90 Jahre später herausfand, war die Speedwell ein Kolonial-Schiff, das England im Oktober des Jahres 1634 verlassen hatte. An Bord waren schätzungsweise 52 Kolonisten, die in der Neuen Welt ihr Glück zu finden hofften. Doch die Speedwell erreichte nie ihr Ziel und galt seither als verschollen.
Über zweihundert Jahre später kreuzte die Speedwell schließlich vor der Küste Neuenglands auf.
Wie ich schon sagte: So oder so ähnlich beginnen viele seichte Gruselgeschichten, von denen ich selbst genug gelesen habe, um diesem Teil der Geschichte keinen Glauben zu schenken. Doch richtig interessant wird es erst ab hier.
Es gelang schließlich, die Speedwell sicher in den kleinen Hafen, der in einer natürlichen, schmalen Bucht lag, zu manövrieren und vor Anker zu legen.
Auch wenn man 1884 nichts über die genaue Herkunft und das Schicksal der Speedwell wusste, so war den Einwohnern von Lost Haven klar, dass es sich um ein Schiff aus dem 17. Jahrhundert handeln musste. Es dauerte nicht lange, bis der Begriff »Geisterschiff« durch die Straßen von Lost Haven getragen wurde. Und so wurde man sich auch schnell einig, dass die Speedwell schleunigst wieder den Hafen verlassen sollte, denn so eine Herrenlose konnte nichts anderes als Unheil mit sich bringen.
Auch Hawl selbst bestätigte gegenüber Farrel, dass ihm nicht wohl dabei gewesen wäre, die Speedwell in den Hafen zu manövrieren, aber seine Neugier war stärker als seine eigenen Bedenken. So enterte er selbst das unheimliche Schiff, um Informationen zu sammeln.
Er wurde allerdings enttäuscht: An Bord gab es nichts, das Rückschlüsse auf die Ursache des Verschwindens von Besatzung oder Passagieren und auf das plötzliche Wiederauftauchen der Speedwell hingewiesen hätte. Das Schiff war leer. Es gab keine Fässer, in denen der Proviant gelagert wurde, keine Werkzeuge oder Ersatzteile und auch keine Habseligkeiten.
Als Hawl im Begriff war, die Speedwell wieder zu verlassen, entdeckte er eingeklemmt zwischen zwei Planken eine Goldmünze. Es gelang ihm nicht sie herauszuziehen. Passendes Werkzeug hatte er nicht zu Hand, und so entschied er sich, das Schiff am nächsten Tag erneut zu betreten, denn es war schon später Abend. Würde Hawl, der eine stattliche Münzsammlung sein eigen nennen konnte, die Münze identifizieren können, so hätte er einen eindeutigen Beweis, dass die Speedwell ein Schiff aus der Vergangenheit wäre.
Doch dazu sollte er keine Gelegenheit mehr bekommen.
Am nächsten Morgen war die Sonne noch nicht einmal aufgegangen, da klopfte es wild an der Tür seines Hauses.
Hawl sagte aus, er hätte schon geahnt, welche Nachricht der Ungeduldige an seiner Tür zu überbringen gedachte. Die Speedwell war fort. Über Nacht spurlos verschwunden.
Die wildesten Theorien machten daraufhin die Runde. So sei die Speedwell durch Geisterhand aus der schützenden Bucht von Lost Haven zurück ins offene Meer gefahren. Dämonen hätten die Speedwell entführt. Das Schiff sei auf eine unheilvolle Art lebendig geworden und hätte von alleine den Hafen verlassen. Eine andere Theorie besagte schlicht, das Schiff sei gesunken, weil es schon halb verrottet gewesen wäre.
Keine Theorie, keine Geschichte über die Speedwell war in den folgenden Wochen absurd genug, um nicht ernsthaft in Lost Haven zur Sprache gebracht zu werden.
Dessen ungeachtet berichtet Farrel, dass allgemeine Erleichterung darüber herrschte, dass das Geisterschiff fort war.
Doch mit dem Verschwinden der Speedwell begann etwas, dass heutige Parapsychologen und Geistergläubige weltweit übereinstimmend als die häufigsten, bestdokumentierten und vor allen Dingen folgenschwersten Poltergeisterscheinungen in der Geschichte der Neuzeit bezeichnen.
2
Die meisten paranormalen Vorfälle wurden zwar von Arthur Farrel schriftlich festgehalten. Doch gab es auch andere, teilweise sogar übereinstimmende Berichte und Erwähnungen aus Briefen, Notizen, Tagebüchern und sogar aus Testamenten der Einwohner von Lost Haven.
Vorab sei noch gesagt, dass sich Parapsychologen und sonstige 'Experten' bis heute nicht
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