Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
umgedreht waren.
Ich sah zur Tür und hörte, wie Peter irgendeine Fantasie-Melodie pfiff. Ich war in Sicherheit. Er würde nichts merken.
Als Nächstes holte ich die beiden Fotos heraus und drehte sie mit leicht zitternder Hand um.
Auf dem ersten Foto war junge Frau, vielleicht Mitte Zwanzig, zu sehen. Sie trug eine blaue Regenjacke und posierte mit einem strahlenden Lächeln vor einem Gebirgsmassiv, das aus dem Yellow-Stone Nationalpark stammen könnte. Ein typisches Urlaubsfoto. Ich konnte verstehen, warum Peter ausgerechnet dieses aufbewahrte. Das von allen Sorgen befreite Lächeln auf dem Foto, war ganz sicher ein einzigartiger Moment, den Peter durch Zufall festgehalten hatte.
Dann sah ich mir das zweite Foto an. Voller Entsetzen weiteten sich meine Augen, als ich es betrachtete.
Das Foto zeigte dieselbe Frau, vermutlich ein paar Jahre später, wie sie neben Peter im Schatten einer Düne am Strand sitzt. Die Frau lächelte auf genau dieselbe Weise wie auf dem ersten Foto. Ihr Gesicht war aber wesentlich blasser.
Was mich daran so daran so entsetzte, war nicht die offensichtliche Tatsache, dass die Frau unter ihrer Perücke keine Haare hatte und schwer krank war. Nein. Es war der Mann neben ihr. Im ersten Moment hatte ich ihn nicht erkannt, aber es war eindeutig Peter. Doch war das nicht der Peter, der unten in der Küche Spiegeleier briet. Das war nicht der Peter, mit dem ich das Footballspiel gesehen hatte. Das da auf dem Foto war ein völlig anderer Mensch.
Diese unverrückbare Zuversicht in seinen Augen! Diese bedingungslose Liebe, welche in jenem Augenblick, vom Foto verewigt, ausreichend war, um alles Böse restlos zu bekämpfen! Diese unbelehrbare Gewissheit, dass bessere Tage kommen würden!
Das ganze Gesicht von Peter, vom Teint angefangen über die gesunde Glätte seiner Haut bis hin zum kraftstrotzenden Lachen: Das war der alte Peter, den er an diesem Ort zurückgelassen hatte. Der Peter heute war im Vergleich dazu nur noch eine leere Hülle.
Mir wurde ganz flau im Magen. Ich konnte es mir nicht mehr ansehen. Schnell legte ich die Fotos wieder so zurück, wie ich sie vorgefunden hatte.
Ich hatte einen schrecklichen Fehler gemacht. Das hätte ich nie tun dürfen! Ich hatte unseren Eid gebrochen. Und ich hatte mehr gesehen als mir lieb war. Es war noch viel schrecklicher, als ich es mir je hätte vorstellen können.
Extrem vorsichtig schob ich die Schublade wieder zu und schlich aus dem Zimmer.
Geräuschlos schloss ich die Tür hinter mir.
3
So leise wie möglich ging ich die Treppe runter.
»Jack? Sag mal schiffst du da oben für zehn?«
Schnellen Schrittes durchquerte ich das Wohnzimmer, um zu Peter in die angrenzende Küche zu gehen.
»Ich bin schon seit einer ganzen Weile wieder unten. Das hast du nur nicht gemerkt«, rief ich ihm im Gehen zu.
Als ich den Türrahmen durchschritt und meinen Blick auf Peter richtete, der über den Herd gebeugt war, traf mich abermals der Schlag. Für die Dauer einen Lidschlags hätte ich schwören können, auf Peters Schultern statt seines Kopfs eine graue undurchsichtige Masse zu sehen. Genau wie bei Melissa vor wenigen Tagen. Das Ganze geschah so unglaublich schnell, dass ich mich der Hoffnung hingab, einer optischen Täuschung aufgesessen zu sein – wodurch diese auch immer verursacht worden war.
Peter drehte sich zu mir um und musterte mich nachdenklich.
»Wie siehst'n du aus? Hast du gerade ein Gespenst gesehen?«
»Quatsch.«
Ein Irrtum. Nichts als ein Irrtum, dachte ich.
»Na, dann schau mal in den Spiegel. Du siehst weißer aus als das Weiße von meinen Spiegeleiern.«
»Ich bin nur müde. Das ist alles.«
Das habe ich mir eingebildet. Nichts weiter.
»Wie du meinst. Aber bevor du gehst, musst du noch mit mir essen. Klar?«
»Klar.«
Du siehst Dinge, die nicht da sind. Selber Schuld! Du musstest ja unbedingt herumschnüffeln.
Wir aßen in der Küche gemeinsam Peters Spiegeleier, die vor Bratfett nur so trieften. Ich musste mich zwingen, wenigstens eines herunterzuwürgen.
»Mann das war gut, oder?«
»Du solltest einen Michelin-Stern bekommen.«
Peter lachte wieder sein unsägliches Lachen, das man lacht, wenn man verzweifelt ist.
»Peter«, begann ich, »hättest du was dagegen, wenn ich heute bei dir übernachte?«
Peter schaute mich ein wenig verdattert an. Würde er mich jetzt nach einer Begründung fragen, könnte ich ihm keine liefern.
»Ja, also von mir aus. Aber wieso denn? Findest du den Weg nicht mehr
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