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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Fahrer war ein unrasierter Jüngling in einem schmutzigen roten T-Shirt, auf dem das Wappen der Harvard University fehl am Platz wirkte. »Ich will zu einer Adresse in der Oranienburger Straße. Ich kenne das Haus vom Sehen, weiß aber die Nummer nicht. Fahren Sie erst mal zum S-Bahnhof Wittenau«, sagte ich langsam und deutlich, in Hörweite meines polizeilichen Begleiters. Daran würden sie erst mal zu beißen haben, denn die Oranienburger Straße ist endlos, geht vom Flughafen bis nach Hermsdorf.
    Keine Straße, in der man sich unbedingt von Tür zu Tür durchfragen will.
    Sobald der Flughafen außer Sicht war, erklärte ich dem Fahrer, dass ich’s mir anders überlegt hätte und nun zum Bahnhof Zoo wolle. »Also zum Zoo«, wiederholte der Fahrer.
    Dabei grinste er mich im Rückspiegel an. Die Umgebung des Bahnhofs Zoo hat den Charakter des Times Square in New York: zentral gelegen, aber bevorzugter Aufenthalt von Randexistenzen. Wenn jemand untertauchen wollte, konnte er dort immer jemanden finden, der ihm dabei half. »Alles klar«, sagte der Fahrer. Er dachte sich wahrscheinlich, dass ich die Militärpolizei abhängen wollte, und das fand er gut.

    - 345 -
    Ja, dachte ich, alles ist klar. Kaum hatte ich ihm mein Herz ausgeschüttet, hatte der verdammte D.G. angeordnet, mich in Berlin zu verhaften. Schlau von ihm, das in Berlin machen zu lassen. Hier war das Militär König. Hier gab es keine bürgerliche Freiheit, die nicht durch Verordnungen, die noch aus der Kriegszeit datierten, außer Kraft gesetzt werden konnte.
    Hier konnte man mich einfach einsperren und schmoren lassen.
    Ja, alles klar, Sir Henry. Ich hänge an der Angel.

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22
    Ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich erreichen wollte, außer genug Zeit zu gewinnen, meine Gedanken zu sammeln und auf irgendeinen rettenden Einfall zu warten.
    Den Gedanken, mir die stumpfnasige 38er Smith & Wesson und die fünfhundert Pfund in verschiedenen Währungen und kleinen Scheinen, die ich immer in Lisls Hotelsafe aufbewahrt hatte, aus dem Schließfach zu holen, in das ich sie kürzlich transferiert hatte, verwarf ich. Weder bares Geld noch Pulver und Blei würden mir was nützen, wenn das Department hinter mir her war. Ich ließ auch den österreichischen Pass im Futter des Koffers in dem möblierten Zimmer in Marienfelde. Zwar konnte ich mich in einen Österreicher verwandeln, wenn ich meine Stimme eine Oktave anhob und mir beim Sprechen die Nase zuhielt. Aber wozu. Spätestens am Montag würden allen Polizeistellen gute Fotos von mir vorliegen, und dann war es egal, ob ich Österreicher war oder nicht.
    Ein Taxi lieferte Werners Porzellankiste im Hotel ab mit einer Nachricht für Ingrid Winter, dass Werner und ich noch zusammen ins Kino gegangen seien.
    Jeder, der uns kannte, würde allein eine solche Vorstellung für absurd halten. Aber Ingrid kannte uns noch nicht so gut, und mir fiel kein besserer Vorwand ein, der sie wenigstens zwei, drei Stunden davon abhalten könnte, Nachforschungen anzustellen.
    Nicht alles, was ich tat, war so wohlüberlegt. Wie von einem Dämon aus meiner wildbewegten Vergangenheit gehetzt, nahm ich ein zweites Taxi und ließ mich zum Checkpoint Charlie fahren. Es war schon fast Nacht, aber meine Welt neigte sich zur Sonne und war nicht dunkel. Mein Taxi kroch in der Budapester Straße durch die Horden von müden Touristen, die, Popcorn und Curry-Wurst mampfend,

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    um das längst nicht mehr sensationelle Neon- und Betonwunder des Europa Center herumschlenderten.
    »Checkpoint Charlie?« fragte der Fahrer sicherheitshalber noch einmal nach.
    »Ja«, sagte ich.
    Wir fuhren am Landwehrkanal entlang nach Osten. Das Ufer war menschenleer, obwohl hier mehr geschichtsträchtige Bauten standen als am Kurfürstendamm. Hinter jener dunklen Fassade saß vor noch nicht allzu vielen Jahren der Chef der deutschen Spionageabwehr, Admiral Canaris, und sann darauf, seinen Herrn und Meister zu stürzen. In einem der größtenteils noch zu wilhelminischen Zeiten errichteten neobarocken Paläste, die hier den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten, befand sich das Oberkommando des Heeres, und auf einem der Höfe darin wurde Stauffenberg nach dem gescheiterten Putsch erschossen.
    Bald hatten wir das dunkle Kanalufer hinter uns gelassen und waren in Kreuzberg. Beim Anhalter Bahnhof fuhr das Taxi am Café Leuschner vorbei, ein Stück die Kochstraße entlang –
    Berlins Fleet Street – und bog schließlich in die Friedrichstraße ein, von

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