Geködert
dunkel, schmutzig und still.
Wohlmeinende Bürokraten schicken das Verkaufspersonal früh nach Hause, die fliegenden Händler sind von der Straße verbannt, fast leere Pubs verkaufen hochbesteuertes, wäßriges Lagerbier, und die Fabriken sind verkommen. Ein Bilderbuchbeispiel der allgegenwärtigen Stadtverödung, abgesehen von den wenigen baumbestandenen Plätzen, die sich die Yuppies für teures Geld unter den Nagel reißen.
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In der guten alten Zeit vor Women’s Lib, Designer-Jeans und Pfannenpizza war Big Henty’s Billardsaal mit seinen zehn großen Tischen, wo den Spielern außer Getränken auch warme Speisen serviert wurden, das Athenaeum von Southwark. Die schmale Eingangstür und die schwach beleuchtete Treppe führten in einen höhlenartigen Raum, der passenderweise gerade über einem Laden lag, wo es besonders gute Aale und Pasteten gab. Inzwischen war dieser Laden leider einem Video-Verleih-Club gewichen, dekoriert mit diesen grellbunten Plakaten, auf denen halbnackte Filmstars mit schweren Maschinengewehren lässig aus der Hüfte feuern. Doch Big Henty’s selbst hatte sich im wesentlichen nicht verändert. Die Beleuchtung war noch genauso wie früher, und das ist bei einem Billardsaal das Wichtigste. Es war sehr still, aber an jedem Tisch wurde gespielt. Die grünen Filzflächen schimmerten wie Riesenaquarien, durch die hier und da plötzlich ein leuchtend bunter Fisch schoß, schnappte und verschwand.
Big Henty war natürlich nicht mehr da. Ihn hatte man im Jahre 1905 beerdigt. Der gegenwärtige Wirt war ein dünner, weißgesichtiger Mann von ungefähr vierzig Jahren. Er kümmerte sich um die Bar. Die Auswahl dort war nicht groß.
Billardspieler finden keinen Geschmack an den komischen, sprudelnden Mixturen, die die Barkeeper in Cocktailbars auf Trab halten. Bei Big Henty’s trank man Whisky oder Wodka, Real Ale oder auch Guinness mit Limo, wenn man die Leber (oder sonst was) schonen wollte. Gegen den Hunger gab es
»getoastete« Sandwiches, die warm, weich und in Plastikfolie eingeschweißt aus dem Mikrowellenherd serviert wurden.
»’n Abend, Bernard. Hat angefangen zu schneien, was?«
Der Mann hatte ein phänomenales Gedächtnis. Es war Jahre her, dass ich zuletzt hier gewesen war. Er nahm seine brennende Zigarette aus dem Johnny-Walker-Aschenbecher auf der Theke, inhalierte und legte sie an ihren Platz zurück.
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Mir fiel wieder ein, dass er wie ein Kettenraucher eine Zigarette an der anderen anzündete, aber selten daran zog. Vor Jahren hatte ich einmal Dicky Cruyer hierher mitgenommen zu einem Treffen mit einem großsprecherischen Kerl, der in der ostdeutschen Botschaft arbeitete. Bei dem Treffen war nichts herausgekommen, aber ich erinnere mich, dass Dicky den Barmann als den »Hüter der heiligen Flamme« charakterisiert hatte.
Ich erwiderte: »Ein kleines Guinness … Sidney.« Im letzten Augenblick war mir sein Name doch noch eingefallen. »Ja, der Schnee wird auch liegen bleiben.«
Das Guinness kam natürlich aus der Flasche. Kenner, die Porter oder Stout vom Fass gezapft haben wollten, mussten anderswohin gehen. Aber Sidney hielt das Glas schräg beim Einschenken, und der Daumen saß unter der Stelle, wo das Bier auftraf, damit man merkte, dass er sich mit dem Brauchtum auskannte, und die Schaumkrone auf dem Glas hatte genau die richtige Höhe. »Im Hinterzimmer.« Behutsam schüttelte er die letzten Tropfen aus der Flasche und warf sie in geübtem Schwung hinter sich. »Ihre Freundin. Im Hinterzimmer. Hinter Tisch vier.«
Ich nippte an meinem Glas. Dann drehte ich mich langsam um und musterte den Raum. Big Henty’s Hinterzimmer hatte sich im Laufe der Jahre schon für manchen Flüchtling bewährt.
Die Behörden hatten das immer geduldet. Die
Kriminalbeamten von der Borough-High-Street-Polizeiwache trafen sich dort mit ihren Informanten. Ich durchquerte den Saal. Bis auf die Lichtkegel der mit Quasten und Fransen besetzten Lampen über den Billardtischen war der Raum dunkel. Die Zuschauer – nicht viele heute abend – saßen auf hölzernen Bänken an den Wänden, ihre grauen Gesichter nur als helle Flecken zu erkennen, ihre dunkle Kleidung unsichtbar.
Gemächlich ging ich, mein Bier in der Hand, durch den Saal, blieb dabei einmal stehen, um mir einen verzwickten Stoß
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anzusehen, und näherte mich dem Tisch Nummer vier. Einer der Spieler in der bevorzugten Billarduniform – dunkle Hose, weißes Hemd mit offenem Kragen und aufgeknöpfte Weste
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