Gekroent
Dunkelheit, die ihre Mutter verfolgt hat, wird sich vermutlich auch an Morrigan heranmachen. Wenn Sie das Kind verstoßen, wird die Dunkelheit die Oberhand bei ihr gewinnen, fürchte ich.“
„Sie verstoßen!“
Richard spürte, wie seine Frau sich versteifte.
„Oh nein. Wir könnten Sie niemals verstoßen.“
„Pat, du musst dir dieser Sache ganz sicher sein. Wir sind nicht mehr die Jüngsten.“
Lächelnd schaute sie ihm in die Augen. „Morrigan wird uns jungerhalten. Und sie braucht uns, Honey. Außerdem ist sie vermutlich alles, was wir je von Shannon haben werden.“
Richard konnte nichts sagen, also nickte er nur und gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.
„Meine Tochter Mary ist im Auto. Sie hat ein paar Sachen für das Kind mitgebracht – Windeln, Nahrung, Fläschchen. Damit sollten Sie heute Nacht erst einmal über die Runden kommen.“
„Danke schön.“ Pat Parker schenkte ihm ihr strahlendes Lächeln. „Das wissen wir sehr zu schätzen.“
„Warum hilfst du Mary nicht, die Sachen ins Haus zu bringen? John und ich kümmern uns um alles andere“, schlug Richard vor.
Pat nickte, aber bevor sie ging, sah sie noch ein letztes Mal Rhiannons Leichnam an. „Es ist schwer zu glauben, dass sie nicht Shannon ist.“
„Aber sie ist es nicht“, sagte Richard mit fester Stimme. „Shannon lebt und ist sicher in einer anderen Welt.“
Das Baby rührte sich, und sofort richtete Pat ihre Aufmerksamkeit auf das kleine Bündel in ihren Armen. Mit sanfter Stimme sprach sie auf die Kleine ein und ging um das Auto herum, um Mary abzuholen. Richard wartete, bis die Frauen mitsamt den Tüten voller Babysachen im Haus verschwunden waren, dann wandte er sich an den alten Indianer.
„Ich bringe sie nicht in die Stadt. Das hier geht niemanden außer uns etwas an.“
John Peace Eagle nickte. „Es ist gut, dass sie nicht länger mit der modernen Welt in Berührung kommt. Sie gehört in eine andere Zeit – an einen anderen Ort.“
„Ich würde sie gerne unter einer der Weiden am Teich begraben.“ Richard schaute zum dunklen Teich hinüber. „Die Bäume sind mir immer so traurig vorgekommen.“
„Und nun wird es sein, als weinten sie um sie.“
Richard nickte. „Helfen Sie mir?“
„Ja.“
Gemeinsam gingen sie zum Stall hinüber, um zu holen, was sie benötigten.
„Was werden Sie Morrigan über ihre Mutter erzählen?“, wollte Peace Eagle wissen.
„Die Wahrheit“, sagte Richard automatisch. Dann fügte er hinzu:
„Vielleicht.“ Er wünschte, er wüsste, wie zum Teufel er das anstellen sollte.
Die Morgendämmerung war bereits heraufgezogen, als John Peace Eagle und seine Tochter gefahren waren.
Richard war erschöpft. Er lag im Bett, massierte seine rechte Hand mit der linken und versuchte, die Steifheit wegzubekommen, die sich immer einstellte, wenn er sich zu viel zumutete. Er fragte sich, ob diese Verletzung jemals richtig heilen würde. Dann erinnerte er sich daran, dass es erst fünf Monate her war, seit er sich die Hand bei dem Versuch aufgerissen hatte, sich aus einem Loch in der Eisdecke des Teiches zu befreien – einem Loch, das Nuada geschaffen hatte, als er versuchte, seine Drohung wahr zu machen, jeden zu töten, den Shannon liebte. Die Haut um die Narbe zuckte und zitterte, wie ein Pferd, das von einer Bremse gestochen wurde. Er dachte nicht gern an diesen Tag zurück.
Das weinende Baby riss ihn aus seinen Gedanken. Er stand leise auf, ging um das Bett herum auf die Seite seiner Frau und schaute auf das strampelnde Bündel hinunter. Das Kind lag in der alten Wiege, die Mama Parker vom Dachboden geholt hatte. Shannons alte Wiege. Er hatte ganz vergessen, dass sie die aufbewahrt hatten. Mein Gott, die musste jetzt seit über dreißig Jahren da oben stehen. Ohne zu zögern, hob er Morrigan hoch und tätschelte ihr etwas unbeholfen den Rücken, während er schnell das Schlafzimmer verließ, damit er Mama Parker nicht weckte.
„Schsch“, beruhigte er sie. Sie hatte vermutlich Hunger. Neugeborene wollten ständig trinken – daran erinnerte er sich noch. Während er ein Fläschchen warm machte, riefen das Gewicht in seinen Armen und der Duft des Babys weitere Erinnerungen in ihm wach. Er hatte ganz vergessen, dass es beinahe eine religiöse Erfahrung für ihn gewesen war, seine Tochter zu halten. Und er war wahrlich kein religiöser Mann. Er hatte keine Zeit für die Steifheit und Scheinheiligkeit der organisierten Religionen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich
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