Gelassene Eltern - starke und glueckliche Kinder - Eine Recherche wie das Leben mit Kindern gelingt
sowieso vergessen würden. Mir gefielen die Statements von Professor Heinz-Elmar Tenorth. Er sagt, Bildung ist das, was nach der Schule übrig bleibt. Schule würde eine solide Grundbildung gewährleisten und 80 Prozent der Schüler würden vom deutschen Schulsystem gut bedient. Tenorth ist der Meinung, dass doch vieles hängen bleibt. Er beschreibt den Nutzwert von Schule. So spricht er davon, dass man Wissensgebiete kennenlernt, wie zum Beispiel die Mathematik, die unwiderlegbar sind. Schüler würden Perspektiven auf die Welt lernen, die ihr eigenes Recht haben, eben historisch, naturwissenschaftlich, sprachlich kommunikativ, künstlerisch. Außerdem würden Schüler ihre Grenzen erfahren und die Erfahrung machen, was andere besser können. Tenorth beantwortet die Frage nach der überzogenen Stofffülle. Man solle ein verpflichtendes Kernkurrikulum definieren, ansonsten die Lehrpläne als Quelle der Inspiration so lassen, wie sie sind, damit einzelne Schüler oder Klassen zusätzliche Themen ausarbeiten können. Das würde ich sehr begrüßen. In einer weiteren Forderung bin ich ganz auf seiner Seite, nämlich dem Wunsch, Lehrer das unterrichten zu lassen, wofür sie brennen, wofür sie sich begeistern, für Sport, Musik, Kunst, Theater und Kultur, Tanz, Jonglieren, Einrad fahren, Fotografie, für die Erkundung der Welt. Manche Schulen bieten zum Beispiel Alpenüberquerungen an, damit sich die Schüler spüren und um an Herausforderungen zu wachsen. Solche nachhaltig wirkenden Lernerfahrungen sind das, was Schüler brauchen und nicht so viel Stoff. Ich bin der Meinung, sie sind keine Drogensüchtigen.
Außerdem müssen wir noch eine weitere Erkenntnis der Hirnforschung bedenken. Hüther sagt: „ Unser Gehirn ist ein Sozialorgan .“
(DVD Prof. Dr. med. Gerald Hüther: Was Kinder brauchen – Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung, Seminar in Zürich, Juli 2006, Auditorium Netzwerk 2006, jokers edition)
Das heißt, wir lernen durch Bezugspersonen, vom ersten Tag unseres Lebens an durch Nachahmung. Die Qualität der Vorbilder beeinflusst unser Lernen. Lernen braucht Beziehung. Bis zum 16. Lebensjahr lernen Schüler im Grunde für Mama, Papa oder die Lehrer. Das merken Eltern am ersten Schultag, wenn Kinder mit dem Stundenplan heimkommen: „In Englisch haben wir Frau Müller, die ist nett, in Mathe den Herrn Geier, das ist die Hölle.“ Eltern wissen dann: In Englisch wird es passen, in Mathe, schauen wir mal.
Sozialisation oder Dressurlernen?
Komme ich zur Vertretung in eine Klasse, interessieren mich die jungen Menschen: Ich frage sie, was sie gut können, für was sie sich begeistern. Regelmäßig bringe ich dann meine Verwunderung zum Ausdruck, wie wenig sie sich selbst reflektieren. Sie sind sich ihrer Stärken nicht bewusst. Sie sind vor allem über Jahre im System Schule kooperativ. Im Grunde trotten sie den Lehrern willig hinterher, wie Schafe ihrem Schäfer, es ist unglaublich. …
Eine Freundin unseres Sohnes erzählte von ihrer Grundschulzeit. Der Lehrerin war es ein Dorn im Auge, dass die Kinder auf dem Weg zur Turnhalle so lärmten. Sie erzählte den Kindern, sie sollten sich vorstellen, die Schule sei ein Aquarium und sie seien die Fische. Daraufhin liefen die Jungen und Mädchen mit sich immer wieder öffnenden und schließenden Mündern zur Halle. Es war tatsächlich ruhig.
Ich stellte mir das bildlich vor und fragte, ob sie sich das hat gefallen lassen. Sie meinte: „Das war schön! Ich wollte immer der erste Fisch sein.“
Ich bewundere meine Grundschulkolleginnen. Ab und zu besuche ich eine Grundschulklasse. Manche sitzen nach der Pause wie die Zinnsoldaten auf den Bänken vor den Klassenzimmern und sagen nichts, einfach gar nichts, sind mucksmäuschenstill – bis der Lehrer oder die Lehrerin kommt. Ich bin oft ganz überrascht, sage spontan: „Meine Güte, seid ihr brav.“ Und ich denke mir: „Wie machen das die Lehrer nur?“ Phänomenal.
Diese Frage habe ich einer Kollegin gestellt. Sie meinte: „Ganz einfach, dafür bekommen sie einen Stern.“
Jesper Juul hat so Recht: Kinder kooperieren. Aber das muss ja so sein: Sozialisation ist wichtig. Kinder brauchen Strukturen, müssen die Kulturtechniken durch Instruktion erlernen, brauchen Lob und Tadel. Noten geben ihnen Orientierung, wo sie stehen, und wenn sie Defizite aufweisen, wird in diesem Bereich gefördert. Übrigens: Es wäre so hilfreich, wenn man dafür an den Schulen ausreichend ausgebildetes Personal
Weitere Kostenlose Bücher