Gelehrig: Erotischer Roman (German Edition)
ersten Ehe meines Vaters.«
»Ich wusste nicht mal, dass du einen Halbbruder hast!«
»Wir haben uns vor Jahren aus den Augen verloren. Aber in unserer Jugend haben wir viel Zeit miteinander verbracht. In dem Sommer, als ich siebzehn war, kamen wir uns sehr nahe. Es gab da einen Nachmittag im Teich hinter dem Haus, an dem wir beinahe ...« Teds Stimme brach ab, und sein Gesicht bekam einen abwesenden, träumerischen Ausdruck. »Weißt du was, Hannah? Ich bin total fertig und werde ins Bett gehen.«
Ohne ihr noch mehr zu erzählen, verschwand Ted nach oben. Hannah konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte, aber als sie sich daran erinnerte, wie liebevoll sich die beiden Männer angesehen hatten, begannen die Gefühle, die sie füreinander hatten, einen Sinn zu ergeben. Sie ging zurück in die Bibliothek, setzte sich auf die Couch und versuchte, sich an die Gefühle zu erinnern, die sie beim Beobachten der beiden Männer gespürt hatte. Die Energie, die von den beiden ausgegangen war, schien noch immer im Zimmer zu schweben. Hannah würde nie vergessen, wie sich Ryans eisenharte Schale in Zärtlichkeit verwandelt hatte, als Ted auf die Knie gesunken und ihm die Eichel geküsst hatte.
Hannah kuschelte sich auf der Couch zusammen und gähnte. Sie war schon kurz vor dem Einschlafen, wollte die Bibliothek jedoch nicht verlassen. Es gab noch so vieles, über das sie nachdenken musste, so viele Formen der Intimität, so viele Variationen der Liebe. Eigentlich war das alles viel zu viel, als dass ein Mensch es in der Spanne eines Lebens erfahren konnte. Eifersucht vergiftete den Brunnen der Erotik, ließ die natürliche Anziehungskraft hässlich und bedrohlich wirken, vernichtete die Magie des Begehrens. Als Hannah die Augen schloss, schwor sie sich, diese zerstörerische Energie durch Gedanken an Schönheit und Sinnlichkeit zu ersetzen.
In ihrer Fantasie entstand das Bild zweier Jungen im Teenageralter, die nackt in einem grünen See schwammen, auf den die Sommersonne herabschien. Unter Wasser berührten sie sich, schreckten aber vor dem Körperkontakt zurück, den sie erst Jahre später bewusst erleben würden.
9 Melanie bekommt, was sie will
Noch nie hatte sich Weglaufen so gut angefühlt. Als Melanie durch die verschwenderisch dekorierten Geschäfte in der Faneuil Hall, dem malerischen alten Marktplatz von Boston, schlenderte, hatte sie das Gefühl, zurück in die Weihnachtszeit ihrer Kindheit zu reisen, als diese Zeit voller Zauber und nicht voller Stress gewesen war und sie nur an all die Geschenke denken musste, die sie unter dem prächtigen Baum im Wohnzimmer ihrer Familie erwarten würden. Natürlich war die Magie der Weihnachtszeit immer durch den Alkoholismus ihrer Stiefmutter, das aufbrausende Temperament ihres Vaters und Onkel Bernies aufdringliche Hände geschmälert worden, aber der Dezember war schon immer Melanies Lieblingsmonat gewesen.
All das hatte sich geändert, seit sie im Einzelhandel arbeitete. Die langen Arbeitszeiten, die ungeduldigen Kunden und der Stress, die gefragten Waren immer auf Lager zu haben, waren Melanie zunehmend auf die Nerven gegangen. Während sie beobachtete, wie die Verkäuferin ihre Einkäufe abkassierten, erkannte Melanie, dass dieser Urlaub längst überfällig gewesen war. Es war eine solche Erleichterung, auf der anderen Seite des Tresens zu stehen und diejenige zu sein, die die Hände ausstrecken konnte, um die vollen Tüten entgegenzunehmen, diejenige zu sein, die sich freuen und genießen konnte. Melanie erkannte sich in den müden Gesichtern der Verkäuferinnen nur zu gut wieder, und sie gab sich die größte Mühe, freundlich zu ihnen zu sein. Nachdem sie den Tag damit verbracht hatte, das Limit ihrer Kreditkarte auszureizen, wollte sie nur noch in ihr preiswertes Hotelzimmer zurückkehren, auf dem Bett zusammenbrechen und sich Pizza oder chinesisches Essen aufs Zimmer bringen lassen. Danach würde sie sich den Rest des Abends mit kalorienreichen Snacks vollstopfen und sich alberne Actionfilme im Fernsehen anschauen.
Hin und wieder verspürte Melanie ein Aufwallen von Scham, dass sie das Chimera einfach verlassen hatte, doch dieses Gefühl unterdrückte sie schnell wieder. Pagan und Luna würden auch ohne sie klarkommen. Wenn sie in etwa so waren wie Melanie in ihrem Alter, dann würden sie sie vermutlich nicht einmal vermissen, bis sie zurückkam. Melanie gefiel der Gedanke so gut, von ihren eigenen Angestellten ersetzt zu werden, dass sie sich
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