Geliebte Betrügerin
seinen Charme genauso reagieren, wie sie es bei ihrem Vater getan hatte. Ihn der Ausschweifungen wegen verabscheuen, aber andererseits alles tun, um ein wenig von seinem Charme abzubekommen. Hatte sie sich denn gar nicht verändert, seit sie als junges Mädchen im Kensington-Palast Prinzessin Victoria getroffen und bei ihr übernachtet hatte?
Sie hatte sich, so abgemüht, sich bei Victoria und deren Mutter beliebt zu machen. Nicht, weil die beiden ihr etwas bedeutet hätten. Oh, nein. Sondern weil Vater ihr befohlen hatte, die beiden für sich einzunehmen. Vater wollte, dass man Pamela als Gefährtin der Prinzessin auserkor, um sich Einfluss auf diese wichtige und verdächtig frauenbestimmte Familie zu verschaffen.
Pamela hatte es natürlich nicht geschafft. Die Herzogin von Kent hätte niemandem gestattet, Einfluss auf ihre Tochter zu nehmen. Pamelas Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Dass sie sich ihres Vaters Unmut zuziehen würde, war von vornherein eine ausgemachte Sache gewesen. Aber sie hatte es dennoch versucht und zwar so angestrengt, dass sie den zum Flirten aufgelegten, hübschen jungen Kerrich kaum bemerkt hatte.
Aber jetzt nahm sie ihn durchaus zur Kenntnis.
Nun ja, ganz so wie ihr Vater war Kerrich natürlich nicht. Er hielt sich, soweit sie das beurteilen konnte, keine Mätresse und schien sich eher seiner Bank verschrieben zu haben als der Jagd nach leichten Weibern. Aber hatten die paar wackligen moralischen Grundsätze sie so nachhaltig überzeugt, dass sie ihn küssen wollte?
Sie straffte die Schultern, während sie auf das Stadthaus zuschritt. Irgendwie würde sie die herbe Maske ablegen müssen. Doch jede Sekunde weiter in Richtung der großen Flügeltür brachte sie Kerrich und Beth näher – und der Aufgabe, der sie gegenüberstanden. Kerrich mit seinem Drang, jede Frau zu erobern, die ihm über den Weg lief (und das konnte der einzige Grund für sein unverständliches Benehmen seinj! Sie durfte ihm nicht gestatten, sie abzulenken. Pamela erinnerte sich wieder daran, dass es an ihr lag, die Akademie so lange zu finanzieren, bis sie sich alleine trug. Sie nahm all ihre Entschlossenheit zusammen und wurde wieder zu Miss Lockhart, der Gouvernante aus Eisen. Um Beths willen musste sie tapfer sein und für Kerrich unangreifbar. Sie würde ihm nie mehr erlauben, sie zu küssen, um seine Neugier zu befriedigen.
Sie griff nach dem riesigen Messingtürklopfer in Form einer Adlerklaue und pochte laut.
Timothy öffnete die Tür und rief mit überraschtem Tonfall, den man gut auch entsetzt hätte nennen können: »Miss Lockhart!«
Miss Lockhart rauschte ins Foyer und zog sich die Hutnadeln heraus.
Timothy starrte sie peinlich berührt mit großen Augen an.
Sie konnte sich nicht vorstellen, was ihn derart entsetzte. Sie schaute in den Spiegel und realisierte, dass die bleiche Kreatur mit den roten Wangen tatsächlich sie selbst war, die Person, die Timothy jedoch gewohnt war. »Bin ich zu spät?«, fragte sie.
»Nein!« Er wand sich förmlich. »Nein, wir hatten vielmehr gehofft, Sie würden etwas …«
Miss Lockhart zog die Augenbrauen hoch. »Etwas?«
»Schon gut, Timothy.« Mit seinem absonderlich schleichenden Schritt betrat Moulton die Eingangshalle. »Ich kümmere mich jetzt um Miss Lockhart.«
»J-ia«, stammelte Timothy. »Danke, Mr. Moulton.«
Pamela reichte Moulton den Hut und wartete darauf, über Beths Aktivitäten ins Bild gesetzt zu werden. Sie hatte eine lange Liste geschrieben, was Corliss, das Kindermädchen, mit Beth unternehmen sollte, rechnete aber damit, dass die beiden nur einen kleinen Teil erledigt hatten. Es gab einfach keinen Ersatz für die strenge Hand einer richtigen Gouvernante.
Aber Moulton fragte: »Wie war Ihr freier Vormittag, Miss Lockhart?«
»Recht erfreulich.« Sie musste sich eingestehen, dass sie es sehr genossen hatte, ein paar Stunden mit Hannah zusammenzusitzen und sie selbst zu sein. Aber sie konnte sich nichts vormachen. Während der ganzen Zeit mit Hannah hatte die Erinnerung an Kerrichs Küsse sie umgetrieben. Eventuell hatte er sie aus Mitleid geküsst oder weil er einfach jede Frau, die seine Sphären kreuzte, haben musste oder weil er neugierig gewesen war- aber darüber würde sie jetzt nicht mehr nachdenken!
Und sie würde darauf achten, nicht in seine Reichweite zu geraten.
Sie war froh, zurück zu sein. »Hatte Corliss irgendwelche Probleme mit Beth?«
»Ganz und gar nicht. Corliss ist recht tüchtig.« Er
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