Geliebte der Finsternis
an. »Ich werde sterben, Wulf. Sterben! Unter grausigen Höllenqualen! Meine Zeit nähert sich dem Ende!« Sie ließ ihn los, begann im Zimmer umherzuwandern und versuchte ihre heftigen Atemzüge zu beruhigen. »Begreifst du das nicht? Nach
meinem Tod werde ich mich an nichts erinnern. Ich werde einfach verschwinden, nicht mehr existieren, fern von euch allen sein.« Ihr Blick irrte durch den Raum. »Diese Farben werde ich nicht mehr sehen. Weil ich sterben werde!«
Wulf sprang auf, zog sie in seine Arme, und sie schluchzte an seiner Brust.
»Okay, Cassandra, ich halte dich fest …«
»Sag so was nicht! Gar nichts ist okay! Wir können es nicht verhindern. Was soll ich nur tun? Ich bin erst sechsundzwanzig! Das verstehe ich nicht. Warum muss ich sterben? Warum kann ich mein Baby nicht aufwachsen sehen?«
»Wir werden einen Ausweg finden. Vielleicht kann Kat mit Artemis reden. Irgendwo muss es doch ein Schlupfloch geben.«
»Hast du eins?«, kreischte sie hysterisch. »Deinem Dark Hunter-Dasein kannst du ebenso wenig entrinnen wie ich meinem Apollitenleben. Warum heiraten wir überhaupt? Welchen Sinn hat das?«
Beschwörend schaute er in ihre Augen. »Weil ich dieses Ende nicht zulasse!«, stieß er hervor. »Alles, was in meinem Leben wichtig war, habe ich verloren. Und dich und unser Kind werde ich nicht auch noch verlieren. Hörst du mich?«
Gewiss, sie hörte seine Worte. Doch sie änderten nichts. »Wie willst du das Problem lösen?«
»Das weiß ich noch nicht«, entgegnete er und drückte sie etwas fester an sich. »Aber es muss irgendwie möglich sein.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werde ich die Mauern des Olymp oder des Hades oder was auch immer niederreißen, um dich zu finden.
Niemals lasse ich dich gehen, Cassandra. Nicht kampflos.«
Dankbar für seine Entschlossenheit, schmiegte sie sich an ihn. Doch sie wusste, es war hoffnungslos. Die gemeinsamen Tage waren gezählt. Mit jeder Stunde rückte das unausweichliche Ende näher.
14
Am Freitag wollte Cassandra die Hochzeit möglichst schnell hinter sich bringen. Ihre Schwester und Kat hatten sie die ganze Woche mit den Vorbereitungen genervt, Wulf war ihnen wohlweislich aus dem Weg gegangen.
Wenn sie ihn nach seiner Meinung zu diesem oder jenem fragten, gab er ihnen stets ähnlich lautende Antworten. »Den Teufel werde ich tun, mich in den Streit dreier Frauen einzumischen. Wie ihr euch vielleicht erinnert, brach wegen so eines Zanks der Trojanische Krieg aus.«
So klug war Chris nicht. Aber letzten Endes hatte auch er sich in seinem Zimmer verkrochen oder die Flucht ergriffen, wann immer die Frauen in seine Nähe geraten waren.
Nun stand Cassandra zusammen mit Kat und Phoebe in ihrem Brautkleid im Schlafzimmer und wartete. Ihr langes rotblondes Haar fiel auf die Schultern hinab, wie es der Wikingertradition entsprach. Zu Ehren einer weiteren nordischen Sitte trug sie eine silberne Krone, in der frische Blumen steckten. Chris hatte ihr erzählt, diese Krone sei von Wulfs Schwägerin eingeweiht und dann von einer Generation zur nächsten vererbt worden.
Den alten Kopfschmuck zu tragen, bedeutete ihr sehr viel. Dadurch fühlte sie sich mit Wulfs Vergangenheit verbunden.
Bei der Hochzeit würde das Familienschwert an seiner Seite hängen, genau wie später, wenn sein Sohn heiratete.
Langsam öffnete sich die Tür, sie sah Urian davor stehen. Das lange blonde Haar umgab seine Schultern, und er trug einen eleganten Smoking aus schwarzer Seide. »Sind Sie bereit?«
Nach einer langwierigen Debatte hatten sie beschlossen, ihn zum Brautführer zu ernennen. Bei den Apolliten herrschten andere Sitten als in der Menschenwelt. Weil es wahrscheinlich war, dass die Eltern der Braut deren Hochzeit nicht erlebten, wählte man einen Begleiter, der sie zum Schauplatz der Zeremonie geleitete, die traditionellen Worte sprach und das Paar für Mann und Frau erklärte.
Cassandra würde sich lieber von einem Priester trauen lassen. Aber sie hatte gemeinsam mit Wulf entschieden, es würde die Apollitengemeinde gefährden, wenn sie einen Menschen hierher baten. Deshalb wollten sie nach apollitischen Gebräuchen heiraten.
Anfangs hatte Urian sich gesträubt, die Position des Brautführers zu übernehmen. Aber Phoebe hatte ihm sehr schnell klargemacht, es würde in seinem eigenen Interesse liegen, den Wunsch des Paares zu erfüllen.
»Das wirst du tun. Und du wirst nett zu Wulf sein. Oder du schläfst in Zukunft auf der Couch. Für immer. Angesichts deiner
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