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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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befand sich eine steinerne Plattform über dem plätschernden Fluss. Und auf dem Stein lag eine geschrumpfte Leiche. Und in dieser Leiche ...
    »Diese Reste sollten eigentlich zu Staub zerfallen sein«, sagte Miri. Sie sah Dean an, dessen Miene sorgenvoll schien. Vielleicht waren es Erinnerungen.
    Sie blieben am Rand des Wassers stehen. »Soll ich ihn holen?«, fragte Robert.
    Miri schüttelte den Kopf, trat über das Wasser hinweg auf die Plattform. Der Lichtstrahl ihrer Lampe beleuchtete ein vertrocknetes Gesicht, das eindeutig männliche Züge aufwies. Der Leichnam war weit besser erhalten als die Mumien aus Yushan. Sein Zustand bedeutete beinahe ein Wunder. Viertausend Jahre. Und mit einem Geheimnis über seinem Herzen bestattet.
    Sie hockte sich über die Leiche und untersuchte die Brusthöhle. Sie brauchte nicht lange, bis sie merkte, dass hier etwas nicht stimmte.
    »Die Jade ist nicht darin«, sagte sie.
    »Was?« Dean sprang neben sie auf die Felsenplattform. »Ich fühle sie, Miri. Sie muss hier sein.«
    »Ist sie aber nicht«, protestierte Miri. Sie untersuchten die Mumie weiter, bis sie schließlich in sich zusammenfiel. Im selben Augenblick schien die Welt zu versinken, und Miri hörte eine Stimme. Wenn die Zeit gekommen ist, musst du es tun, sonst wird er dich töten. Dann verklang das verstörende Flüstern, und Bilder traten an seine Stelle. Zudem spürte sie einen starken Druck auf ihrer Brust, über ihrem Herzen, als sie sah ...
    Weiße Gipfel über violetten Felsen, Federwolken, die dicht über uralten Bäumen dahinschwebten, die auf den Hängen tiefer Täler standen, ein türkisfarbener See ... dessen Wasser still und ruhig über den Rücken eines Drachen strömte. Und dahinter, viel weiter entfernt, ein Weinen, eine Frau, die weinte, endlose Tränen vergoss, und noch tiefer, Dunkelheit, der Geruch des Todes, das Zischen von Wasser auf glühendem Stein, Augen, die golden leuchteten und ihr Licht auf Knochen ergossen ...
    Die Vision verblasste schnell und erlosch schließlich ganz. Miri taumelte und fühlte, wie jemand sie festhielt, hörte, wie Dean ihren Namen flüsterte. Sie konnte nichts sehen. Ihre Augen wollten nicht fokussieren. Ihre Brust pochte schmerzhaft.
    »Miri«, sagte Dean. »Miri, was ist passiert?«
    Etwas Unmögliches. Sie besaß doch keine Psi-Kräfte. Sie hatte keine Visionen.
    Miri schluckte und versuchte, ohne Hilfe zu stehen. Schließlich lehnte sie sich an Deans Körper, der seinen  Arm um ihre Taille geschlungen hatte. Fast hätte sie ihm die Wahrheit erzählt, aber dann fiel ihr Robert ein.
    »Nichts«, sagte sie. »Mir ist nur ... schwindlig, das ist alles. Die Leiche.«
    Für jeden, der sie kannte, musste das albern klingen. Dean hatte seine Miene zwar unter Kontrolle, aber sie sah seinen fragenden Blick. Selbst Robert trat zurück und beobachtete sie scharf. Er wirkte ... nachdenklich. Miri war nicht sicher, ob ihm dieser Ausdruck stand. Er machte ihr Kummer. Ein nachdenklicher Robert bedeutete meistens eine Menge Ärger.
    Miri und Dean sprangen von der Plattform. Sie ließen eine Leiche zurück, die aus kaum mehr als einem Haufen vertrockneter Brocken und Staub bestand. Miri wurde fast schlecht bei diesem Anblick, aber sie unterdrückte ihre Schuldgefühle und ihre Scham. Alle drei starrten sich an.
    »Also«, sagte Robert.
    »Kein Artefakt«, erklärte Miri. »Die Jade ist nicht hier.«
    »Ich sage immer noch, das ist unmöglich«, widersprach Dean. »Ich habe sie gefühlt. Sie hat mich ... hergezogen.«
    »Und wenn es nur der Leichnam war, zu dem du eine Verbindung gespürt hast?«
    »Wenn das stimmt, hat uns das Glück im Stich gelassen. Ich weiß nicht, wohin wir jetzt gehen sollen.«
    Miris Haare bewegten sich. Sie fühlte einen kühlen Wind auf ihrem Gesicht. »Woher kommt dieser Wind? Glaubt ihr, dass es einen Weg aus dieser Kammer gibt?«
    »Einen Ausweg, der keine Todesfälle ist?«
    »Und der nicht von uns verlangt, denselben Weg zurückzugehen, den wir gekommen sind?« Robert lächelte. »Das würde mir sehr gefallen.«
    Es fiel Miri jedoch schwer, die Kammer zu verlassen. Sie drehte sich um und starrte die staubigen Reste an. Das Gesicht des Mannes, den sie zerstört hatte, war ihr noch gut in Erinnerung. Wie sich die Dinge geändert hatten. Dass sie so bereitwillig uralte Tote vernichtete, und zwar nur für Tand, für irgendeinen Schatz.
    Grabräuberin, schimpfte sie sich. Es spielte keine Rolle, dass sie einen guten Grund dafür gehabt, dass sie nur

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