Geliebte Diebin
Gesicht, und das Messer, das sie in den Stiefel geschoben hatte, war kalt an ihrem Bein.
Beklommenheit umfing ihre Seele.
Vor noch nicht ganz einer Woche war sie schon einmal hier gewesen ...
Sie erinnerte sich daran, wie si^ gezittert hatte, als sie sich im Wald umgezogen hatte, als sie das weiße Kleid ihrer Mutter zugeknöpft hatte, mit Fingern, die vor Kälte taub gewesen waren. Sie hatte ihr Haar mit den Fingern gekämmt, Bänder hineingeknüpft und hatte sich dann zu einer Haltung gezwungen, die sie absolut nicht gefühlt hatte, als sie durch das Haupttor an den betrunkenen Wachleuten vorbeigeschlüpft w ar . Vorsichtig hatte sie vor den Pfützen und dem Schlamm die Röcke gehoben und sich den Weg in die große Halle gesucht. Sie wusste, dass sie den Lord ablenken musste, während Payton und die anderen durch das Schloss schlichen und die Schätze aus der Schatzkammer entwendeten, die Pferde stahlen und sich einiges von dem zurückholten, was Morgan von Black Thorn vor zwei Jahrzehnten aus Serennog geraubt hatte.
Als sie den Lord entdeckt hatte, hoch auf seiner Empore, bedrückt und lustlos, trotz der Musik und der Feierlichkeiten, hatte sie seine Verzweiflung gerührt. Dazu war sie hingerissen gewesen von seinem guten Aussehen, von den Geheimnissen in seinen grauen Augen. Als er sie dann gebeten hatte, mit ihm zu tanzen, als er sie in seinen Armen gehalten hatte, hatte sie sich selbst in einer einfältigen, romantischen Vision verloren - in einer Illusion, die sie selbst geschaffen hatte.
Selbst jetzt, während sie hinter ihm her ritt , bewunderte sie seine breiten Schultern und seine stolze Haltung. Sie bemerkte, wie sein dunkles Haar über seinen Kragen fiel, und ihr verräterisches Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie wurde zurückgebracht nach Black Thorn, als Gefangene! Und noch immer träumte sie davon, ihn zu lieben ...
Payton hatte Recht. Sie war dumm. Eine Frau, unfähig zu regieren. Eine Frau, die sich zu oft von ihrem Herzen leiten ließ und nicht von ihrem Kopf.
Nur so hatte es so weit kommen können. Sie war eine Gefangene und hatte sich beinahe in ihren Bezwinger verliebt. Insgeheim verfluchte sie ihr Schicksal und erinnerte sich an Genevas Vorhersage. Es geht hier um Schicksal, M'lady. Euer Schicksal.
Ihr werdet den Lord von Black Thorn heiraten.
Es war ein Spaß.
Ein schmutziger Trick.
Wenigstens einmal, so schien es, hatte sich die Zauberin geirrt. Vollkommen und absolut geirrt.
22
Glocken ertönten im Schlosshof.
Ein Wachmann rief: »Lord Devlynn ist angekommen! Er hat seinen Sohn dabei!« Die Leute hielten wie auf Kommando alle in ihrer Arbeit inne.
Als Devlynn durch die Tore von Black Thorn ritt, ertönten begeisterte Rufe. Die Zimmerleute, die die Ställe reparierten, legten die Hämmer beiseite. Der Schmied verließ seine Esse. Der Waffenschmied kümmerte sich nicht länger um die Waffen, die er säuberte. Und die Jungen, die im Weiher Aale fingen, blickten gespannt von ihren Netzen auf. Frauen, die Wä- sehe trugen, und Mädchen mit Körben voller Eier und Händen mit Wassereimern hielten in ihrer Arbeit inne, als der Lord von Black Thorn in sein Schloss zurückkehrte.
»Willkommen zu Hause, M'lord«, begrüßte ihn einer der Männer. Er zog den Hut ab und verbeugte sich. »Wir haben Euch vermisst. Wie ich sehe, habt Ihr Euren Sohn gefunden.« Ein Lächeln zeigte die schiefen Zähne hinter seinem roten Bart. »Es ist gut, dass Ihr wieder zu Hause seid.«
»Aye, willkommen«, stimmte ein Mädchen mit einem großen Busen und dicken Zöpfen ein und verbeugte sich. Ihre Lippen öffneten sich zu einem viel sagenden Lächeln, und sie klimperte mit den Augenwimpern. Verführerisch. Apryll durchzuckte ein lächerlicher Anflug von Eifersucht.
»Yale!«, kreischte Bronwyn erfreut. Sie kam aus einer der Hütten gelaufen und rannte durch das heruntergetretene Gras und den Lehm. Ihr Gesicht strahlte, ihre braunen Locken flogen. »Es gibt neue junge Hunde im Zwinger, und gestern hat Mutter mir erlaubt, mit ihr auf die Wiese zu reiten, und Onkel Collin hat gesagt, wenn du wieder da bist, würde er mich auf die Jagd mitnehmen. Komm!«, rief sie atemlos. Sie war so aufgeregt, dass sie in die Hände klatschte und auf und ab hüpfte.
Mit einem raschen, um Erlaubnis heischenden Blick zu seinem Vater sprang Yale von seinem Pferd und lief glücklich hinter seiner Cousine her durch die Menschenmenge, die sich angesammelt hatte. Lachend und laut plappernd rannten sie den lehmigen Weg
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