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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Orgie der Fröhlichkeit abgebaut, und schließlich wurde bis zu einem gewissen Grad auch das böse Knurren unserer Mägen besänftigt, was ja schon allein geeignet ist, die verlorengegangene Heiterkeit wiederherzustellen. Übrigens wurde nach einiger Zeit die Landschaft wieder absolut einmalig: die Wüstenberge traten erneut ganz nah an den Fluß heran und begannen überdies die allerbizarrsten Formen anzunehmen, so daß immer wieder die Forderung nach einem Fotostopp laut wurde. Diese Fotostopps wurden allerdings immer kürzer, nicht so sehr aus Angst ums Programm - über dieses dürfen sich üblicherweise nur die Reiseleiter den Kopf zerbrechen; dazu sind sie ja da -, sondern weil der Wind immer stärker wurde und man bei der Nähe der Wüste immer öfter riskierte, gleich beim Aussteigen eine Ladung Sand in Augen, Ohren, Mund und Nase zu kriegen, und wer weiß, wohin noch überall. Mit anderen Worten: der Wind wuchs sich mit der Zeit immer mehr zu einem richtiggehenden Sandsturm aus.
    Und dann bog Machmut plötzlich scharf nach rechts ab und überquerte den Nil, und damit war die Umleitung zu Ende, und es ging wieder auf der Hauptstrecke weiter. Und jetzt wurde es allerhöchste Zeit, unsere Leute auf die nächste Besichtigung vorzubereiten, und das war Abydos ...“
    „Abydos?“ wirft Johnny ein. „Ist das nicht diese Stadt, wo Hero und Leander ...“
    „Ja, genau!“ ruft die Henne aus. „Haben wir doch in Griechisch gelesen: Hero und Leander! Ich erinnere mich wieder!“ Und er beginnt zu rezitieren: „Sestos lag gegenüber Abydos. Benachbarte Orte, waren durchs Meer sie getrennt. Und Eros spannte den Bogen ...“
    „Was?“ unterbricht ihn Johnny. „Durchs Meer getrennt? Wie gibt's denn sowas? Wo ihr doch schon tief im Innern Afrikas wart!“
    „Naja!“ erwidert Giggerle. „Tief im Innern Afrikas ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber doch schon weit genug vom Meer entfernt. Nein, nein, das Abydos Leanders liegt ganz woanders, nämlich in Kleinasien, und zwar in der Nähe von Troja, an der Meerenge der Dardanellen, und das Sestos seiner heißgeliebten Hero liegt gegenüber auf der europäischen Seite der Dardanellen. Was ich vorhin meinte, ist natürlich das ägyptische Abydos, und das hat mit dem griechischen Abydos nichts gemein als den Namen. Für die alten Ägypter - das erzählte uns jetzt also Myriam - war das ein wichtiger Wallfahrtsort, wenn nicht überhaupt der wichtigste Wallfahrtsort ihres Landes. Dort lag nämlich das Heiligtum des Osiris von Abydos, des ägyptischen Totengottes und Vorsitzenden des göttlichen Gerichtshofes, dem jeder Verstorbene vorgeführt wird und der zu entscheiden hat, ob der Verstorbene in die seligen Gefilde der Verklärtheit eingehen oder vom krokodilköpfigen Höllentier verschlungen werden soll. Um also den Herrscher des Jenseits beizeiten gnädig zu stimmen, hatte jeder Ägypter den Wunsch, nach Möglichkeit zu dessen Heiligtum in Abydos zu pilgern. Falls sich dieser Wunsch zu seinen Lebzeiten nicht erfüllen ließ, gab es immer noch den Ausweg, die Pilgerreise nach dem Tod, aber vor der Bestattung als Mumie nachzuholen oder sich, noch besser, gleich in Abydos bestatten zu lassen oder, wenn dies nicht möglich war, sich hier durch ein Kenotaph, also ein leeres Scheingrab, oder wenigstens durch einen sogenannten Denkstein der Gnade des Osiris zu empfehlen.
    Osiris besaß nämlich in Abydos selbst ein Grab, in dem allerdings nicht sein ganzer Körper, sondern nur sein Kopf bestattet war. Und wie das kam, erzählt ein Mythos, den uns ein griechischer Schriftsteller überliefert. Danach war Osiris ursprünglich ein vortrefflicher König Ägyptens, der sein Volk den Ackerbau, die Künste und die Wissenschaften lehrte und es damit zu Gesittung und Wohlstand führte. In diesem segensreichen Wirken stand ihm Isis, seine Schwester und gleichzeitig Gattin, hilfreich zur Seite. Doch sein Bruder Seth tötete ihn heimtückisch, zerstückelte den Leichnam und warf die einzelnen Teile in den Nil. Dieser trug sie an verschiedenen Orten Ägyptens an Land, und für jeden Teil seines Leichnams errichteten die Menschen ein Grabmal. Isis aber machte sich auf die Suche nach ihnen und ließ nicht eher davon ab, als bis sie alle gefunden hatte. Jetzt griff Anubis, der Gott des Einbalsamierens, ein: es gelang ihm, Osiris aus den einzelnen Leichenteilen wieder zusammenzusetzen, und er umwickelte ihn mit Leinenstreifen. So war die erste Mumie entstanden. Durch diese Behandlung

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