Geliebte Myriam, geliebte Lydia
das heilige Land des christlichen Mönchtums. Dieses ist nämlich hier entstanden, und zwar im 3. Jahrhundert und zunächst in der Form des Eremitentums. Das Wort 'Eremit' ist griechisch und bedeutet eigentlich 'Wüstenbewohner', denn wer sich in Ägypten aus Familie und Gesellschaft in die Einsamkeit zurückziehen will, geht nicht wie bei uns in die Berge, sondern natürlich in die Wüste, die, wie wir gesehen haben und immer noch sehen, nirgends fern ist. Die ersten christlichen Eremiten, von denen wir Nachricht haben, waren erstens der heilige Paulus von Theben - nicht zu verwechseln mit dem Apostel Paulus - und zweitens der heilige Antonius der Große - nicht zu verwechseln mit dem heiligen Antonius von Padua. Diesen nennt man auch den Mönchsvater, denn er übte eine gewaltige Anziehungskraft auf Menschen aller Art aus, die sich zu Hunderten um ihn scharten und nach den Regeln, die er ihnen gab, zu leben versuchten. Ein solches Einsiedlerleben in der Wüste muß übrigens sehr gesund sein, denn von beiden, vom heiligen Paulus wie vom heiligen Antonius, ist überliefert, daß sie weit über hundert Jahre alt geworden sind. Und wie schafften sie das? Nun, ihre Hauptbeschäftigungen waren, wie uns glaubhaft berichtet wird, Beten und Fasten und der Kampf gegen die Dämonen; als solche bezeichnete man, wie wir ja schon gehört haben, die heidnischen Götter. Sie hausten entweder in natürlichen Höhlen oder in altägyptischen Felsengräbern, die es ja in Hülle und Fülle gibt und, wie wir ja schon gesehen haben, durchaus geräumig und absolut wohnlich sind, und lebten von dem Brot, dem Wasser und den getrockneten Datteln und Feigen, die ihnen fromme Pilger, die sie besuchen kamen, mitbrachten, vielleicht auch von der Milch einer Gazelle, die mit einer Herde vorbeizog, und wenn sie besonderes Glück hatten, gab es in der Nähe sogar eine Quelle.
Diese Einsiedlerkolonie des heiligen Antonius war allerdings noch kein Kloster. Das erste richtige Kloster entstand im frühen 4. Jahrhundert hier in Ägypten, und zwar an einer Stelle des Niltals, an der wir heute noch vorbeifahren werden. Sein Gründer und damit der Gründer christlichen Mönchtums im eigentlichen Sinn ist der heilige Pachomius, der bis dahin als Eremit in der Wüste gelebt hatte. Übrigens paßt das Wort 'Mönch' damit gar nicht mehr auf diese neue Form des Zusammenlebens in einem Kloster, denn es kommt vom griechischen 'monachós', und das bedeutet 'allein lebend', bezeichnet also eigentlich den Einsiedler. Jedenfalls hat sich in der Folge das Mönchtum von Ägypten aus über die gesamte Christenheit ausgebreitet, um bald zum bedeutendsten Faktor des kirchlichen und im Mittelalter wohl auch des kulturellen Lebens zu werden.
Damit war ich nun an und für sich am Ende meines Vortrags angelangt, aber weil sie so lieb applaudierten und noch ein wenig Zeit war, gab ich noch eine Zugabe und übersetzte ihnen, um sie wieder auf das Osirisheiligtum von Abydos vorzubereiten, aus meinem Herodot dessen ausführliche Beschreibung der ägyptischen Mumifizierungstechnik vor. Und dann bog Machmut endlich ab, und zwar diesmal nicht nach links zum Nilufer, sondern nach rechts zur westlichen Wüste. Und genau an der Grenze zwischen Fruchtland und Wüste erreichten wir Abydos oder das, was davon übrig geblieben ist, nämlich einen ausgedehnten Gräberbezirk unmittelbar hinter besagter Grenze. Aber in diesem gibt's eben nicht nur einfache Gräber und Denksteine, die die einfachen Pilger zum Gedenken an ihre Wallfahrt zum Osirisgrab hinterlassen haben, sondern auch zwei wunderbare und zugleich wunderbar erhaltene Tempel, die zwei Könige an Stelle einfacher Denksteine haben bauen lassen, und außerdem das gewaltige Scheingrab des einen der beiden Könige. Myriam machte uns eine relativ gehudelte Führung durch alle drei Baudenkmäler, ließ aber in Erinnerung an das, was ich gerade über das Mönchtum gesagt hatte, nicht unerwähnt, daß der größere von den beiden Tempeln nur deshalb so besonders gut erhalten sei, weil er in der frühchristlichen Zeit zu einem Kloster umfunktioniert worden sei. Übrigens beklagte sich eh keiner darüber, daß sie so hudelte, im Gegenteil, ein jeder schien froh zu sein, wenn er wieder in den Bus einsteigen konnte, denn jetzt blies bereits ein ausgewachsener Sandsturm, und ein paarmal blieb nichts anderes übrig, als einfach stehenzubleiben, Augen und alle anderen Körperöffnungen fest zuzumachen und zu warten, bis das Ärgste vorüber
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