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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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aber wieso eigentlich? Sie stand unserer Myriam doch nicht halb so nah wie ich und hatte doch auch, ganz im Gegensatz zu mir, überhaupt nichts zu verbergen!
    Naja, unter solchen und ähnlichen Gedanken trottete ich neben der Lydia hinter Myriams Papa her, und der folgte dem Bürschchen, das uns hereingelassen hatte. Und so kamen wir in einen kleinen Hof - klein, aber eigentlich äußerst gemütlich, mit Bankerln, massenhaft Blumenstöcken und was weiß ich noch allem - vielleicht wegen der hohen Feiertage? Und hier drehte sich unser Bürschchen um und deutete an, daß hier für uns vorläufig Endstation sei und wir uns auf einem der Bankerln niederlassen könnten. Das taten wir denn auch, und nach einem weiteren kurzen Dialog zwischen ihm und Herrn Girgis verschwand er hinter einer der ins Innere führenden Türen.
    'Was sagt er? Wo ist Myriam?' japste ich (auf griechisch). Der Herr Girgis zuckte nur mit den Schultern und machte ein Gesicht, als ob er sagen wollte: Ich hab' mir's ja gleich gedacht! (oder so ähnlich). Aber dann raffte er sich doch zu einer Antwort auf, falls man das als Antwort bezeichnen kann, und sagte: 'Es wird gleich jemand kommen.' Dann versank er wieder in Schweigen - in brütendes Schweigen, so kam's mir vor; und ich schwieg ebenfalls, und Lydia war sowieso zum Schweigen verurteilt. Wie lange saßen wir so und warteten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es mir damals vorkam wie eine Ewigkeit - eine Ewigkeit im Fegefeuer, wohlgemerkt. Dabei war's keineswegs mucksmäuschenstill - o nein, man hörte es dauernd wispern, zischeln und tuscheln, einmal von da und einmal von dort. Und einmal gab's sogar ein komisches Intermezzo - das heißt, ich empfand es als komisch; Lydia empfand es eher als unheimlich, ja, gespenstisch. Da ging nämlich plötzlich eine der Türen einen Spalt auf, und heraus lugte einen kurzen Moment lang eine Fratze mit einem entweder komischen oder eben unheimlichen Grinsen und war dann gleich wieder verschwunden. Na, es war, bei Licht betrachtet, ganz einfach das typische Gesicht eines Behinderten, eines geistig Behinderten, und der Herr Girgis unterbrach sein Schweigen und flüsterte mir zu, das sei Gamal, einer der Brüder von Myriams Göttergatten, ein armer Narr, wie er sich etwas altmodisch oder aber volkstümlich ausdrückte; und ich flüsterte es der Lydia zu.
    Aber jetzt sollte, wie es sich herausstellte, unsere Wartezeit bald zu Ende sein. Denn auf einmal hörte man Schritte wie von mehreren Leuten aus dem Hausinnern, und diese Schritte kamen immer näher, und dann ging eine andere Tür auf, und ihr entquoll eine ganze Prozession von Leuten, Alte und Junge, Männer und Frauen - Frauen! War meine Myriam darunter? Ich war erregt aufgesprungen und starrte atemlos auf die Teilnehmer an dieser Prozession, wie sie, einer nach dem anderen, in der Tür auftauchten. Schließlich kam auch Gamal heraus und grinste uns jetzt mit gespenstischem Grinsen an, so, als wären wir alte Bekannte von ihm, und nach ihm kam keiner mehr. Naja, gar so viele waren's auch wieder nicht; viel mehr als zehn, zwölf dürften's, glaub' ich, nicht gewesen sein. Aber Myriam - nein, unsere Myriam war nicht darunter. Enttäuscht blickte ich mich wie um Hilfe nach Lydia um. Aber die war ebenfalls aufgesprungen und schaute ebenfalls total entgeistert und sogar entsetzt drein. Auch der Herr Girgis war aufgestanden und ging auf die Prozessionsteilnehmer zu, und nun folgte eine allgemeine Begrüßung und ein allgemeines Händeschütteln, und der Herr Girgis vergaß auch nicht, uns vorzustellen, und wir mußten allen inklusive Gamal die Hand schütteln; und jetzt erst, beim Händeschütteln, erkannte ich den schwarzlockigen Jüngling wieder, den ich ein Jahr zuvor in Memphis beobachtet hatte, wie er der Myriam den mickrigen Blumenstrauß aufdrängte und ihr überhaupt ein Loch in den Bauch zu reden versuchte. Und dieser schwarzlockige Jüngling hatte sich nun also inzwischen zu ihrem allerwertesten Göttergatten und Haustyrannen gemausert? Nicht zu fassen! Na, schwarzlockig waren sie in diesem Haus ja alle inklusive Gamal; nur der Opa und die Oma - die hatten schon graue Haare.
    Bei letzterer übrigens, also der Oma, fielen mir mehr die Augen auf. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie irgendwie einen scharfen, mißtrauischen, um nicht zu sagen: bösen Blick hatte, und während ich ihr die Hand schüttelte, bekam ich, wenn so sagen kann, innerlich direkt die Gänsehaut. Beim Opa hatte ich

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