Geliebte Myriam, geliebte Lydia
entscheiden, welche von den zweien ich mir anlachen solle, und so lachte ich mir eben alle beide an und schlief schließlich mit allen beiden. Und an das eine kann ich mich noch deutlich erinnern: ich fühlte mich auf einmal gar nicht mehr gedemütigt, und ich zerbrach mir fürchterlich den Kopf, wieso nicht mehr, und was denn da jetzt plötzlich anders war, und ich kam nicht und nicht dahinter ... Ihr gähnt?“
Es ist tatsächlich weder zu übersehen noch zu überhören, daß sich Giggerles Zuhörer in diesem Augenblick gemeinsam einer richtigen Gähnorgie hingeben. Und da Gähnen bekanntlich ansteckend ist, wird nun sogar Giggerle selbst davon angesteckt und muß herzhaft mitgähnen. Dann lacht er und sagt: „Sinken wir jetzt blitzartig in Morpheus' Arme, oder was?“
„Hm, sieht ganz danach aus!“ brummt Johnny, und die Henne murmelt: „Wie spät ist es eigentlich? Schaut einmal, es wird ja schon hell!“
„Ah, darum!“ brummt Johnny. „Wie hast du das genannt? 'Ich hatte ohnehin schon längere Zeit mit dem Schlaf gekämpft' - stimmt's? Na, ich kämpfe jetzt auch schon längere Zeit, ich gesteh's freiwillig.“
„Ja, wenn das so ist!“ erklärt Giggerle etwas zweideutig, um sich sogleich zu präsizieren: „Da habt ihr also fürs erste genug?“
„Fürs erste - ja, ich gesteh's freiwillig“, erwidert die Henne. „Aber ich nehme an, die Geschichte ist noch nicht aus?“
„Nein, nein!“ bestätigt Giggerle und lacht wieder. „Sie ist noch lang nicht aus. Aber ihr habt euch ja beide extra Urlaub genommen, nicht wahr, und ich hab' momentan sowieso nichts anderes zu tun. Wir werden uns jetzt ein paar schöne Tage bei meinen Eltern machen, ja? Jedenfalls, solange das Wetter so herrlich ist.“
„Wieso eigentlich nicht in deiner eigenen Wohnung?“ bohrt die Henne nach.
„Wieso nicht in meiner eigenen Wohnung? Sehr einfach: erstens, weil da kein privater Garten dabei ist; und bei diesem wunderbaren Wetter wollen wir doch draußen sitzen, nicht? Und zweitens, weil ich gar nicht mehr in ihr wohne.“
Jetzt erwacht Johnny kurz aus seiner Lethargie und ruft - oder genauer: brummt eine Spur lauter als zuletzt: „Ah, ihr seid übersiedelt?“
„Übersiedelt - ja, so kann man's auch nennen!“ lacht Giggerle. „Jawohl, so gesehen bin ich übersiedelt.“
„Ah, hat dich deine Frau hinausgeschmissen?“
„Sehr witzig! Naja, das erzähl' ich euch lieber ein anderes Mal! Jetzt habt ihr, glaub' ich, fürs erste wirklich genug - stimmt's?“
„Mhm!“ tönt es darauf zweistimmig zurück.
Jetzt wirft Giggerle einen prüfenden Blick auf den Himmel und beginnt dann von neuem: „Sagt einmal,kennt ihr eigentlich die Hirtengedichte des Vergil?“
„M-m!“ tönt es zweistimmig zurück.
„Nein? Haben wir die nicht in unserem Lateinunterricht behandelt? Naja, ihr werdet euch bestimmt wieder erinnern! Was ich nämlich sagen wollte: in Abwandlung des Schlußverses des letzten von diesen Hirtengedichten könnte ich jetzt zu euch sagen: 'Geht nach Hause sattgefressen, es kommt der Morgenstern, geht, liebe Geißlein!'„
Und damit erheben sich unsere drei Freunde von der Bank, recken und strecken sich unter genüßlichem Stöhnen, gähnen noch einmal laut und herzhaft und wandern sodann durch die geheimnisvolle Stille der Morgendämmerung zu ihrem gemeinsamen Nachtlager im Hause von Giggerles Eltern - falls man dieses jetzt überhaupt noch als „Nachtlager“ bezeichnen kann.
Sonntag, 2. Juni 1996
1. Teil
Dies Bildnis ist bezaubernd schön
(SCHIKANEDER – MOZART)
Bis tief hinein in den Vormittag schlafen sie, unsere drei Freunde. Aber bitte, es ist ja auch Sonntag. Erst nach einem schon fast skandalös späten Frühstück auf der Gartenterrasse, mit verständnisvollem Lächeln serviert von Frau Deuschl, Giggerles Mutter, holen sie sich Liegestühle aus der Abstellkammer und ziehen sich mit diesen in einen nicht nur lauschigen, sondern vor allem abgeschiedenen Winkel des Gartens zurück, um ungestört Giggerles ägyptische Ferien im Geiste fortzusetzen - sei es als Erzähler, sei es als Zuhörer. Und sobald sie es sich gemütlich gemacht haben und Johnny und die Henne Giggerle erwartungsvoll anblicken, beginnt dieser:
„Na? Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja - in unserer zweiten Nacht in Kairo. Naja, in dieser gab's leider wieder genau denselben Radau wie in der ersten Nacht. Trotzdem sprang ich in der Früh nach dem Wecken sofort aus den (gar nicht vorhandenen) Federn - wir hatten ja wie
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