Geliebte Schwindlerin
Vater erwähnt hatte.
Im zweiten Stock gab es abermals zwei Türen. Die eine Wohnung gehörte einem Mann, wie das Namensschild verriet, die zweite einer gewissen „Miß Connie Langford“.
Minella hatte Herzklopfen, doch sie dachte an den Kutscher, der unten auf sie wartete, und betätigte resolut den Messingtürklopfer über dem Namensschild.
Das Geräusch war nicht sehr weittragend, und als sich drinnen nichts rührte, versuchte Minella es noch einmal.
Schritte näherten sich, und eine Minute später wurde die Tür geöffnet. Zu Minellas Erleichterung stand Connie vor ihr.
„Was wünschen Sie?“ fragte sie.
Während Minella sie nur anstarrte und keinen Ton hervorbrachte, rief Connie überrascht aus: „Minella! Das darf doch nicht wahr sein! Was machst du denn hier?“
„Ich bin gekommen, um dich um Hilfe zu bitten, Connie.“
„Um Hilfe? Aber warum denn? Ist dein Vater mitgekommen?“
„Papa ist … tot. Wußtest du das nicht?“
Sekundenlang starrte Connie sie fassungslos an, dann sagte sie tonlos: „Tot? Ich kann es gar nicht fassen.“
„Er ist vor einigen Wochen an Blutvergiftung gestorben.“
„Aber er war doch noch vor kurzem in London, und ich habe ihn noch nie so …“ Sie unterbrach sich. „Wir sollten nicht hier draußen darüber sprechen. Komm herein.“
„Ich bin nach London gekommen, um mir Arbeit zu suchen“, sagte Minella. „Mein Gepäck ist unten.“
Einen Augenblick schwieg Connie, dann sagte sie: „Der Kutscher soll es ins Haus bringen.“
„Ja, natürlich.“ Minella lief die Treppe hinunter und hoffte nur, daß der Mann nicht ungeduldig geworden war.
Doch er hob bereitwillig ihre Koffer aus der Droschke und trug sie ins Treppenhaus, dessen Linoleumboden ziemlich schmutzig war, wie Minella feststellte.
Sie nahm einen Schilling und vier Pennies aus ihrer Geldbörse und überlegte, daß sie wahrscheinlich etwas zulegen mußte, weil er solange auf sie gewartet hatte.
Er starrte auf die Münzen, als kämen sie ihm verdächtig vor, und sagte dann: „Können Sie noch zwei Pennies drauflegen?“
„Ja, natürlich“, sagte Minella hastig. „Sie waren sehr nett.“
Er steckte das Geld ein und warf dann einen verächtlichen Blick auf die schäbige Umgebung. „Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, was mir natürlich nicht zusteht, dann würde ich mir an Ihrer Stelle ’ne bessere Bleibe suchen als die hier.“
Verständnislos sah Minella ihn an. „Was mißfällt Ihnen denn hier?“
Er setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich dann aber anders. „Für so was sind Sie viel zu jung“, sagte er nur. „Gehen Sie zur Mama zurück, wo Sie hingehören, und vergessen Sie London. Das ist nichts für Sie.“
Damit polterte er die Stufen hinunter, kletterte auf seinen Sitz und fuhr davon, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
Seufzend blickte Minella ihm nach. Merkwürdig, daß alle Leute hier in London sie für zu jung und zu unerfahren zu halten schienen, um auf eigenen Füßen zu stehen.
„Es muß an meiner Kleidung liegen“, überlegte sie und bedauerte zum erstenmal, sich nichts Modisches leisten zu können.
Nicht einmal zu einem schwarzen Kleid hatte es gereicht, und in der Garderobe ihrer Mutter hatte sich nur eine elegante dunkle Robe befunden, die sich nicht als Trauerkleidung eignete.
Da Mr. Mercer ihr die mißliche finanzielle Lage geschildert hatte, in der sie sich befand, wäre es verschwenderisch gewesen, ihre knapp bemessenen Mittel für schwarze Sachen auszugeben. Die privaten Schulden ihres Vaters waren keineswegs alle getilgt, und solange nicht sämtliche Gläubiger befriedigt waren, wäre sie sich bei derartigen unnötigen Geldausgaben wie eine Betrügerin vorgekommen.
Verunsichert stieg sie zögernd die Stufen wieder hoch. Vor Connies Wohnungstür angelangt, tröstete sie sich mit dem Gedanken, immer noch Tante Esther als letzte Zuflucht zu haben.
Sie schalt sich töricht, daß sie sich von den Unkenrufen eines ihr völlig fremden Menschen beeinflussen ließ.
Connie erwartete sie. „Komm herein“, sagte sie, „und erzähl mir alles von Anfang an. Ich kann es noch immer nicht fassen, daß dein Vater tot sein soll.“
Ihre belegte Stimme verriet Minella, wie erschüttert sie war. „Ich weiß, wie gern du ihn hattest, Connie“, sagte sie leise, „schon als kleines Mädchen. Ich hätte dir schreiben sollen, bevor ich dich aufsuchte, aber es gab in letzter Zeit soviel für mich zu tun.“
Connie führte sie wortlos in ihr
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