Geliebte Schwindlerin
Wohnzimmer. Die Einrichtung setzte Minella in Staunen. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Alles wirkte verspielt und ein wenig überladen, mit vielen Rüschchen, Schleifchen, Volants, Nippes und Plüsch ausstaffiert.
Eine Wand wurde von einer Couch eingenommen, die mit Kissen in allen Größen und Formen überladen war, ebenso die beiden Lehnsessel. Dunkelrosa Vorhänge mit langen Fransen waren seitlich mit breiten rosa Schleifen zusammengebunden.
Den Teppich zierte ein Rosenmuster auf blaßblauem Grund, und an den Wänden hingen nicht wie üblich Gemälde oder Bilder, sondern Theaterplakate.
Minella fand nur Zeit für einen flüchtigen Rundblick, dann nahm sie in dem Sessel Platz, den Connie ihr hinschob.
„Bist du wirklich nach London gekommen, um dir eine Arbeit zu suchen?“ fragte Connie kopfschüttelnd.
„Irgendwie muß ich mir doch meinen Lebensunterhalt verdienen“, erwiderte Minella. „Sonst bleibt mir nur Tante Esther in Bath.“
„Dort wärst du am besten aufgehoben.“
„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Connie. Du hast damals, als du sie bei uns kennenlerntest, selbst gesagt, daß du sie schrecklich fändest, nachdem sie dir unterstellt hatte, du würdest dir das Haar färben.“
Connie lachte. „Daran erinnere ich mich genau. Vielleicht hat sie so etwas wie eine prophetische Gabe. Aber immerhin ist sie deine Tante.“
„Das ist ein schwacher Trost“, erwiderte Minella bekümmert.
„Ich kann es dir nachfühlen“, meinte Connie verständnisvoll. „Erzähl mir, wie das mit deinem Vater passiert ist.“
Da es sie noch immer schmerzte, sich daran zu erinnern, sah Minella die Freundin nicht an, sondern starrte vor sich hin, als sie schilderte, wie er mit der verletzten Hand aus London zurückgekommen war, wie die Schwellung schlimmer wurde und das Gift sich schließlich im ganzen Körper ausgebreitet hatte.
Als sie geendet hatte, blickte sie auf und sah Tränen in Connies Augen.
„Wie konnte ein Mensch wie er einfach so sterben?“ fragte Connie leise. „Er war so lebenslustig und lachte so gern.“
„Mir fehlt er auch schrecklich“, sagte Minella tonlos. „Jetzt habe ich niemand mehr auf der Welt – außer Tante Esther.“
Unvermittelt sprang Connie auf und trat ans Fenster. „Was willst du tun?“ fragte sie, ohne Minella anzusehen.
Minella zuckte hilflos mit den Schultern. „Das weiß ich selbst noch nicht. Ich dachte, ich könnte in London vielleicht eine Stellung als Kindermädchen finden.“
Als Connie sich nicht dazu äußerte, fuhr sie hastig fort: „Irgendeine Arbeit muß es doch für mich geben. Schließlich hat dein Vater mich unterrichtet, Connie, und du weißt, daß ich eine gute Allgemeinbildung habe.“
„Du bist viel zu jung und zu hübsch.“
„Wofür?“
„Überhaupt für London“, erwiderte Connie. „Du könntest in Schwierigkeiten kommen, Minella, weil du hier niemanden hast, der auf dich aufpaßt.“
„Seit Mamas Tod war ich auf mich allein gestellt“, gab Minella zu bedenken. „Papa war ständig unterwegs, weil er die Leere im Haus nicht ertragen konnte.“
„Er würde sicher nicht wollen, daß du dich hier niederläßt“, hielt Connie ihr entgegen.
„Warum denn nicht? Wenn er wüßte, daß ich bei dir bin, Connie, und mich jederzeit an dich wenden kann, wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann wäre er ganz bestimmt beruhigt.“
Wieder war es eine Weile still. Connie wandte ihr noch immer den Rücken zu, und es war unmöglich, ihre Gedanken zu erraten.
„Hör zu, Connie“, brach Minella das beklemmende Schweigen, „ich will dir nicht zur Last fallen. Nenne mir irgendeine billige, solide Familienpension, wo ich mich einquartieren kann, dann gehe ich allein auf Stellungssuche.“
Connie drehte sich zu ihr um. „Glaubst du wirklich, ich würde das zulassen? Natürlich möchte ich dir weiterhelfen, ich weiß nur noch nicht, wie.“
„Ich will dir keine Mühe machen“, sagte Minella leise. „Wenn du mir nur ein wenig auf die Sprünge helfen könntest, würde mir das schon reichen. Für ein Mädchen wie mich muß es doch in dieser großen Stadt irgendeine Beschäftigung geben!“
„Viel zu viele, wenn du mich fragst“, gab Connie trocken zurück. „Nimm mal deinen Hut ab!“
Verwirrt über die merkwürdige Aufforderung, nahm Minella ihre Kopfbedeckung ab, die sicher nicht der neuesten Mode entsprach, ihr jedoch auf der Reise gute Dienste geleistet hatte.
Sie trug ein hübsches Kleid von ihrer Mutter und darüber ein
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