Geliebte Schwindlerin
hatten, als sie in einer Woche für ihren Unterhalt ausgeben konnte.
Zum Glück konnte sie auch Lady Sybils Schuhe tragen, obwohl sie, ähnlich den Reitstiefeln, ein wenig zu groß waren.
Schließlich setzte sie noch ein schickes Federhütchen auf, legte das zum Reisekostüm passende Cape um, nahm die Handtasche und verabschiedete sich von Mrs. Harlow und dann von Rose.
„Geben Sie Elspeth einen Kuß von mir“, trug sie ihr auf. „Ich werde versuchen, ihr eine französische Puppe zu besorgen, die ihr bestimmt gefallen wird.“
„Das ist sehr lieb von Ihnen, Miß“, sagte Rose. „Ich bete darum, daß Sie die Stelle bei Mylady bekommen.“
Damit löste sie bei Minella so etwas wie Gewissensbisse aus, denn Rose würde für etwas beten, das sie gar nicht anstrebte. Doch wenn sie an die schwierige Aufgabe dachte, die ihr als Gemahlin des Grafen bevorstand, konnte sie alle guten Wünsche und Gebete gebrauchen, die sie begleiteten.
„Danke, Rose, und beten Sie bitte auch darum, daß ich keine allzu schlimmen Fehler mache.“
Der Graf wartete in der Halle auf sie, und sein Blick verriet, daß er mit ihrem Äußeren zufrieden war, obwohl er es nicht sagte.
Sie fuhren bis zu der speziell für die Schloßbewohner eingerichteten Haltestation der Eisenbahn. Ein Diener erwartete sie dort, der, wie Minella dem Gespräch des Grafen mit ihm entnahm, gerade aus London angekommen war, um seine Dienste als Kammerdiener anzutreten.
Langsam kam der Zug nach Southampton angeschnauft. Sie nahmen in einem eigens für den Grafen reservierten Coup6 der Ersten Klasse Platz, während der Kammerdiener ein Abteil der Zweiten Klasse bezog.
Das Gepäck wurde im Abteil des Zugbegleiters verstaut, der hob die Signalflagge, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
Minella, die dem Grafen gegenüber Platz genommen hatte, sagte mit glänzenden Augen: „Für mich ist das alles schrecklich aufregend.“
Ihre Begeisterung entlockte ihm ein Lächeln. „Auf jeden Fall wird es interessant“, sagte er. „Sicher sehen Sie der Begegnung mit General Kitchener mit Spannung entgegen.“
„Ich habe in der Zeitung über seine Siege gelesen“, erwiderte Minella. „Er soll zwar ein brillanter General sein, als Mensch aber ein wenig merkwürdig und reserviert.“
„Das ist er“, bestätigte der Graf. „Allerdings berichtete man mir, er habe in Karthoum einen Gedenkgottesdienst für General Gordon abgehalten und dabei Tränen vergossen.“
Erstaunt sah Minella ihn an.
„Man kann sich kaum vorstellen, daß ein harter Mann wie er auch weinen kann.“
„Ich versichere Ihnen, daß selbst harte Männer so etwas tun, wenn sie erschüttert oder tiefbewegt sind.“
Minella seufzte ein wenig. „Vermutlich weiß ich herzlich wenig über Männer“, stellte sie fest, „weil ich bisher nicht viele kennengelernt habe.“
Sie dachte sich nichts dabei, als sie das sagte. Erst als sie den spöttischen Seitenblick des Grafen bemerkte, erinnerte sie sich daran, daß sie angeblich mit einer Theatertruppe unterwegs gewesen war.
„Sie haben mir so wenig über sich erzählt“, bemerkte er trocken und schien wieder einmal Gedanken gelesen zu haben. „Ich kenne nicht einmal den Titel des Stücks, in dem Sie in Birmingham mitgewirkt haben.“
Ihr wurde in diesem Augenblick klar, daß sie ihre Lüge nicht länger würde beibehalten können. Außerdem würde sie sich sicher so oft verplappern, daß der Graf mißtrauisch werden mußte.
„Da ich jetzt die Rolle Ihrer Frau übernommen habe“, sagte sie nach einigem Zögern, „halte ich es für besser, alles, was ich vorher gespielt habe, zu vergessen, um mich ausschließlich meiner gegenwärtigen Aufgabe widmen zu können.“
„Ein lobenswerter Vorsatz!“ Er sagte das so spöttisch, daß sie sicher war, mit ihrem Ausweichmanöver bei ihm kein Glück zu haben.
Im weiteren Verlauf ihrer Reise unterhielten sie sich jedoch über die verschiedensten Dinge, die alle nichts mit dem Theater zu tun hatten. Sie sprachen über die Pferde des Grafen, seine Pflichten bei Hofe und die Reisen ins Ausland, die er in diplomatischer Mission hatte unternehmen müssen und für die Minella sich ungemein interessierte.
So wie sie einst ihren Vater bestürmt hatte, ihr zu erzählen, welche Orte er aufgesucht und besichtigt hatte, so überredete sie jetzt den Grafen, von sich zu erzählen.
Er war erst vor kurzem aus Madras zurückgekehrt, wo er seine Schwester besucht hatte. Er beschrieb ihr die Tempel, schilderte ihr
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