Geliebte Schwindlerin
daß ich mir ihre Sachen ausleihe“, sagte Minella besorgt.
„Sie wäre bestimmt entzückt, Miß! Außerdem stehen Ihnen diese Sachen viel besser als die aufgedonnerten Roben, die Sie bisher getragen haben.“ Ein mißbilligender Blick streifte das Kleid, das Minella gerade ausgezogen und über die Stuhllehne gehängt hatte.
„Es war sehr nett von Ihnen, Miß, die kleine Elspeth letzte Nacht in Ihrem Bett schlafen zu lassen. Rose brauchte so nötig Schlaf. Ich konnte es gar nicht glauben, als sie mir heute morgen erzählte, wie hilfsbereit Sie waren.“
„Es hat mir Spaß gemacht“, erwiderte Minella, „und wir haben beide prächtig geschlafen.“
Ihr entging nicht, daß Mrs. Harlow sie prüfend ansah, aber sie machte sich keine Gedanken darüber und ließ es dabei bewenden, sich die Sympathien dieser Frau erworben zu haben.
Die Schwester des Grafen war mit dem neuen Gouverneur von Madras verheiratet, erfuhr sie, und hatte sich fast die gesamte Garderobe in den teuersten Läden der Bond Street gekauft.
Sie entsprach genau dem Geschmack ihrer Mutter, stellte Minella fest. Die zarten Pastelltöne standen ihr ausgezeichnet.
„Offenbar“, sagte sie zurückhaltend, „hat Lady Sybil die gleiche Haarfarbe wie ich.“
„Sie ist nicht ganz so hellbond, Miß“, erwiderte Mrs. Harlow, „aber sie hat die gleiche zarte, weiße Haut. Ihre Kleidung ist sehr geschmackvoll und modisch, wie es sich für eine Lady geziemt, wenn Sie verstehen, was ich meine!“
Nur mühsam unterdrückte Minella ein Kichern, denn sie wußte genau, worauf die biedere Haushälterin anspielte.
Natürlich wäre es ein Fehler gewesen, es auszusprechen. Statt dessen erfreute sie sich an den eleganten Kleidern, die Rose in große, teure Reisekoffer verstaute.
Wenige Minuten später trug Minella ein bildschönes Reisekostüm aus zartblauer Seide und dazu ein mit Satin eingefaßtes Cape im gleichen Farbton.
„Auf dem Wasser kann es kühl sein“, erklärte Mrs. Harlow energisch, „deshalb habe ich Ihnen auch einige warme Mäntel und eine Pelzjacke einpacken lassen, die Ihnen sicher nützlich sein werden.“
Am liebsten hätte Minella erklärt, daß sie nicht so viele Sachen brauche, doch dann überlegte sie sich, daß sie darauf bedacht sein mußte, den Grafen nicht zu blamieren und ihrer Rolle an seiner Seite gerecht zu werden.
„Ein Glück, daß Sie Ihre Frisur nicht zu ändern brauchen“, stellte Mrs. Harlow fest. „Wir haben sie alle von Anfang an bewundert, weil sie so natürlich wirkt. Diese aufgeplusterten Löckchenfrisuren haben mir nie gefallen, mögen sie zehnmal bei den feinen Herrschaften und den Schauspielerinnen in Mode sein.“
„Auf der Bühne wirken sie aber sehr hübsch“, wandte Minella ein.
„Und da sollten sie auch bleiben“, behielt Mrs. Harlow das letzte Wort.
Als Minella sich unten von Connie, Gertie und Nellie verabschiedete, mußte sie sich anzügliche Bemerkungen anhören.
„Du hast wahrhaftig nicht lange gebraucht, um die dicksten Rosinen aus dem Kuchen zu picken“, sagte Nellie beim Abschiedskuß.
Minella, die das auf ihre Reise nach Südfrankreich bezog, erwiderte: „Das Mittelmeer wollte ich schon immer gern einmal sehen.“
„Hoffentlich bist du zumindest davon nicht enttäuscht“, sagte Gertie spöttisch.
„Wir wünschen dir alle viel Glück, liebste Minella“, betonte Connie, „und ich bin sicher, daß die Gräfin mit dir sehr zufrieden sein wird. Seine Lordschaft erzählte mir, daß sie jemanden zum Vorlesen braucht, und du hast eine so wohlklingende Stimme. Mein Vater hat das auch immer gesagt.“
„Ich werde mich bemühen, die schwierigen Wörter, die wir nie richtig schreiben konnten, wenigstens korrekt auszusprechen“, versprach Minella lachend.
Die anderen Gäste fuhren dann in den beiden Broughams davon. Sie winkte ihnen nach, bis sie von der Auffahrt verschwunden waren.
„Wir müssen uns jetzt beeilen“, drängte der Graf, der neben ihr stand. „In einer Viertelstunde fährt unsere Kutsche vor.“
Minella stieß einen erschrockenen Schrei aus und rannte dann, so schnell sie konnte, die Treppe hinauf.
In ihrem Schlafzimmer gab es jedoch nichts mehr für sie zu tun. Mrs. Harlow und Rose hatten bereits alles gepackt, und die drei großen Reisekoffer warteten nur noch darauf, von den Dienern nach unten gebracht zu werden.
Minellas Handgepäck bestand aus zwei Hutschachteln und einer Handtasche. Ein Paar Handschuhe lag für sie bereit, die bestimmt mehr gekostet
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